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SPIEGEL - Online
5. November 2006

http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,442325,00.html


KOSOVO-ABSCHIEBUNGEN

Wenn morgens um 5 Uhr die Polizei anrückt

Von Renate Flottau, Belgrad

Die deutschen Behörden schieben Flüchtlinge ab, die aus dem Kosovo stammen - dort aber kaum Chancen auf ein menschenwürdiges Leben haben: die Ashkali und Kosovo-Ägypter. 10.000 von ihnen leben in Deutschland. Liberale Uno-Beamte im Kosovo, die sich querlegen, sind ihre größte Hilfe.

Flughafen Pristina, 12 Uhr. Weder die Abflugs- noch die Ankunftszeit der Maschine ist angekündigt - zumindest nicht offiziell. Dennoch sitzen in dem kleine Wartesaal neben der Ankunftshalle fast zwei Dutzend Menschen und starren wie gebannt auf den Korridor hinter der Zollkontrolle. Eines haben sie gemeinsam: Gegen 11 Uhr klingelte bei ihnen zu Hause das Telefon. Am Apparat war ein Familienangehöriger oder Verwandter, der vom Flughafen in Baden-Baden mitteilte: "Ich bin aus Deutschland abgeschoben. Treffe gegen 13 Uhr in Pristina ein."

An diesem Tag geht es bei der Abschiebung um rund 50 Ashkali, Angehörige einer ethnischen Minderheit auf dem Balkan, dazu einige Roma und Albaner, die die Polizei zwischen 4 und 5 Uhr morgens aus dem Schlaf gerissen hat, ihnen 30 Minuten zum Packen der nötigsten Habseligkeiten gab, manchen vorsichtshalber Handschellen anlegte - und in Polizeiautos zum Flughafen Baden-Baden transportierte. Ihre Reaktion: Tränen, Wut und Unverständnis.

Er habe die Abschiebedrohungen schließlich nicht mehr ernst genommen, sagt der 52-jährige Muhadin. Zweimal hatte sein Anwalt erfolgreich die Abschiebung verhindert. Beim dritten Mal ging's schief. Die meisten "Heimkehrer" lebten seit Anfang der neunziger Jahre in Deutschland, als im ehemaligen Jugoslawien der Krieg ausbrach und sich ein Konflikt im Kosovo abzeichnete.

Zufrieden sind an diesem Tag allerdings auch die deutschen Ausländerbehörden nicht. Theoretisch dürften sie 500 Kosovo-Flüchtlinge monatlich über die Flughäfen Baden-Baden und Düsseldorf in ihre Heimat zurückschicken - allen voran die etwa 8000 bis 10.000 Mann der unter Abschiebestatus stehenden Minderheit der Ashkali und Kosovo-Ägypter. Doch das Vorhaben scheitert meist am Vetorecht der Uno-Verwaltung im Kosovo. Diese muss bei Sammelabschiebungen vorab eine Liste mit den Personalien der Betroffenen erhalten.

Bis zu 80 Prozent Ablehnung

In 50 bis 80 Prozent der Fälle lehnt die dortige Abteilung für Rückkehrer und Minderheiten anschließend deren Rückkehr wegen Unzumutbarkeit ab. Weil sich einige deutsche Bundesländer nicht an diese Restriktion hielten, kam es im vergangenen Jahr sogar zum politischen Eklat. Die Unmik setzte 33 Ashikali gleich nach ihrer Ankunft in Pristina wieder ins Flugzeug und ordnete den Rückflug an.

Berlin konterte verärgert mit der Entsendung von zwei Inspektoren des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge aus Nürnberg, die seither im Kosovo die Arbeit der vermeintlich allzu liberalen Uno-Beamten überwachen. Doch auch ein neues Positionspapier des Flüchtlingswerks UNHCR, das keine generelle Gefährdung der Ashkali mehr sieht, änderte nichts an der Skepsis der Uno-Abteilung, die den Optimismus deutscher Politiker hinsichtlich einer dauerhaften Entspannung in der Krisenprovinz nicht teilen kann.

Der albanische Sprachgebrauch kennt für Roma, Ashkali oder Kosovo-Ägypter nur einen Ausdruck: "Magjup" (Zigeuner). Völkerkundler behaupten dagegen, Ashkali hätten trotz ihrer visuellen Ähnlichkeit zu den Roma Kultur, Tradition und Sprache der Albaner angenommen - während Roma fast ausschließlich ihre eigene Sprache benutzen würden. Ein kleiner Unterschied, der den Roma Glück im Unglück bescherte. Ihre vermeintliche Loyalität während des Kriegs gegenüber den Serben verschaffte ihnen vorerst Abschiebe-Immunität - es sei denn, sie werden von einem deutschen Gericht zu einer Haftstrafe von mehr als zwei Jahren verurteilt.

Aus Paderborn in den Kosovo: "Wir haben Angst"

Nach dem Krieg hatten albanische Extremisten unter den Augen der Nato 14.000 Roma-Häuser abgefackelt und allein aus Süd-Mitrovica 8000 Roma vertrieben. Noch heute erstreckt sich am Rande der Stadt zwischen wucherndem Unkraut eine Mondlandschaft von Geröll und Ruinen, an deren Wiederaufbau niemand denkt.

Doch auch dort, wo internationale Hilfsorganisationen demonstrativ und häufig aus politischen Zwängen zerstörte Roma- oder Ashkalihäuser wieder aufbauten, etwa in Vucitrn, stehen diese jahrelang leer. Wir haben Angst, sagt Ekrem Murselji - ein Ashkali, der mit seiner Familie 14 Jahre lang in Paderborn lebte. Nach seiner Abschiebung vor einem Jahr fand er in einer dunklen Seitengasse in Vucitrn eine vorübergehende Bleibe. Das Haus der Murseljis wurde 1999 zerstört. Während der Nacht lauert der Mann oft stundenlang am Eingang, um mögliche Angreifer rechtzeitig zu orten. Hinter der Türe des Wohnzimmers lehnt ein riesiges Beil - zur Selbstverteidigung.

Unser Leben, sagt der 42-Jährige resigniert, ist mittlerweile schleichender Selbstmord: "Meine vier Kinder sprechen akzentfrei deutsch, aber kaum serbisch oder albanisch. Ihre Zukunft wird wahrscheinlich ein Betteljob vor irgendeiner Moschee sein."

Düstere Prognosen, zwielichtige Methoden

Nicolaus von Holtey von der internationalen katholischen Friedensbewegung "Pax Christi" aus Freiburg bestätigt solch düstere Prognosen. Sozialer und wirtschaftlicher Boykott seien bis auf wenige Ausnahmen die Methode, mit welcher sich die Mehrheitsbevölkerung des Kosovo der unerwünschten Minderheiten zu entledigen versuche. In Kosovo Polje, einer Gemeinde nahe Pristina, habe von 4000 Ashkali weniger als ein Dutzend einen festen Arbeitsplatz erhalten.

Holtey, der in Deutschland eine Beratungsstelle für Roma und Ashkali führt, beschuldigt deutsche Behörden zwielichtiger Methoden bei der Abschiebejagd. Immer häufiger würden Ashkali-Familien mit Drohungen gezwungen, eine freiwillige Rückkehr zu unterzeichen - obwohl ihre Gesundheit oder ihre psychische Verfassung dies rechtlich nicht erlaubten. Beliebte Einschüchterungsgeste sei dabei das Spielen mit Handschellen während des Gesprächs.

Erst im Kosovo angekommen, gebe es dann kein Zurück mehr - selbst wenn deutsche Gerichte nachträglich die Ausweisung als gesetzeswidrig verurteilten. Dass die Uno-Zivilverwaltung des Kosovo den Abschiebewünschen der Bundesregierung so skeptisch gegenübersteht, hat Gründe: Der Skandal um kontaminierte Flüchtlingslager sitzt den dortigen Beamten noch tief im Nacken.

Die höchste in Haaren nachgewiesene Bleibelastung

Die "Gesellschaft für bedrohte Völker" hatte Ende 2005 aufgedeckt, dass 560 Roma und Ashkali, darunter zahlreiche Zwangsrückkehrer aus Deutschland, in mit giftigen Schwermetallen verseuchten Lagern am Rande einer Abraumhalde des Bergwerks Trepca untergebracht waren.

Die Uno streitet zwar ihre Verantwortung für die Gründung dieser Lager nach Kriegsende ab - räumt jedoch ein, zu spät auf warnende Hinweise reagiert zu haben. Eine in US-Labors vorgenommene Analyse von 66 Haar- und Blutproben hatte die höchste jemals in menschlichen Haaren nachgewiesene Bleibelastung ergeben.

Cesmin Lug im serbischen Nordteil der Stadt Mitrovica ist eines der verseuchten Lager. Offiziell wurde es mittlerweile aufgelöst, die Familien wurden in geschützte Regionen umgesiedelt. Tatsächlich betonierte man nur eine kaum 100 Meter entfernte, bis vor kurzem von französischen Kfor-Soldaten benutzte Kaserne und funktionierte sie zum neuen Flüchtlingsasyl umfunktioniert.

Leise Hoffnung auf Besserung in Deutschland

Mehr als 20 Ashkali- und Romafamilien leben mit ihren Kindern jedoch weiter im alten, kontaminierten Lager. Andere pendeln ständig zwischen ihren einstigen Bretterhütten und der neuen, ungewohnten Betonunterkunft hin und her. Weniger als ein Steinwurf neben beiden Lagern verlaufen die Schienen des Lokalzugs, der beim Vorbeirattern den giftigen Bleistaub erneut aufwirbelt und in die Lungen spielender Kinder bläst.

Mittlerweile gibt es immerhin ein wenig Hoffnung. Zumindest die finanzielle Unterstützung, welche die in Deutschland verbliebenen Flüchtlinge ihren Verwandten im Kosovo zukommen lassen, könnte in Kürze dauerhaft gesichert sein. Bei der für November geplanten Innenministerkonferenz der Länder soll das Bleiberecht neu geregelt werden. Ein Abschiebestopp für geduldete Familien mit mehr als 6-jährigem und Alleinstehenden mit über 8-jährigem Aufenthalt in Deutschland ist im Gespräch. Einwände wegen Arbeitsrechtsfragen soll derzeit nur noch Vizekanzler Franz Müntefering (SPD) haben.

Abschiebegefährdete Flüchtlinge warnen sich bis dahin weiter gegenseitig per Internet, sobald sie von geplanten Polizeiaktionen erfahren. Dann beginnt der Wettlauf mit der Zeit. Klingeln die Beamten morgens um 5 Uhr an der Tür, muss die Wohnung leer sein. Danach ist "Paradies Deutschland" wieder gerettet - bis zum nächsten Charterflug aus Baden-Baden oder Düsseldorf.

 

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