Menschen in Not

 

»Hier geblieben!«
Recht auf Bleiberecht

Am Samstag, den 18. Oktober 2003 veranstaltete das Asylzentrum Tübingen (zusammen mit S.H.E.R.I. e.V., Mädchentreff e.V., Bündnis gegen Abschiebehaft, amnesty international, Schülerinnen der Balinger Waldorfschule und Freundeskreis)
in der Panzerhalle (Französisches Viertel) einen Aktionstag für langjährig geduldete Flüchtlinge. Abseits von der Bühne, frierend in einer Ecke der Panzerhalle stand eine Flüchtlingsfamilie und bot warmen Tee und Kuchen an. Seit über 11 Jahren lebt die Familie Dumancic immer nur "geduldet" in Tübingen. Die Angst abgeschoben zu werden begleitet sie seitdem und war noch nie so groß wie jetzt.
Und trotzdem: Weder diese Umstände noch der kalte Wind an diesem Samstag haben es vermocht, ihr freundliches Lächeln zu unterdrücken oder ein Wort der Bitterkeit oder des Vorwurfs herauszulocken. Wer mit Ihnen sprach, ging nachdenklich weg. Warum dürfen so wunderbare Menschen nicht in Tübingen bleiben? Können wir nicht mehr solche Menschen in Tübingen aufnehmen?
Wir brauchen sie!

 

Familie Dumancic lebt gut integriert in Tübingen und hat viele Freunde. Viele Briefe mit Hunderten von Unterschriften wurden schon von ihnen an die Behörden verschickt mit der Bitte, dieser Familie ein Bleiberecht zu gewähren. Weder Schulleiter, Lehrer, Schüler, Eltern noch evangelische und katholische Kirchengemeinden hatten bisher Erfolg mit ihren Briefen an das Innenministerium. Ende Januar 2004 läuft die Duldung aus und die Abschiebung droht.

An Herrn
Dr. Thomas Schäuble
Innenminister des Landes Baden-Württemberg
Dorotheenstr. 6
70173 Stuttgart


Tübingen, im September/Oktober 2003

Sehr geehrter Herr Dr. Schäuble,

Wir wenden uns Hilfe suchend an Sie, den Innenminister unseres Bundeslandes, zu dessen Verantwortungsbereich auch ausländerrechtliche Entscheidungen und Maßnahmen gehören.

Wir sind tief beunruhigt und machen uns große Sorgen um eine Familie bosnischer Herkunft, die schon lange unter uns lebt und der wir uns verbunden fühlen. Es handelt sich um die Familie Franjo und Ankica Dumancic mit ihren beiden Kindern Antonio und Juliana. Sie sind 1992 auf der Flucht vor dem Bürgerkrieg in ihrer alten Heimat nach Tübingen zu ihren Verwandten gekommen. (Die Eltern sowie zwei Brüder und zwei Schwestern von Herrn Dumancic mit ihren Familien leben in Tübingen.) Antonio war damals ca. 1 ½ Jahre alt, Juliana ist 1995 in Tübingen geboren.

Wir, die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner dieses Briefes, sind Lehrer und Eltern von Klassenkameraden und Freunden dieser sehr erfreulichen Kinder, welche wir nicht nur als absolut integriert, sondern auch als wertvoll für unsere eigenen Kinder beziehungsweise die Klassengemeinschaft erleben.

Der 13jährige Antonio besucht die 7. Klasse am Wildermuth-Gymnasium Tübingen. Er ist ein guter, hilfsbereiter, engagierter und beliebter Schüler, der kürzlich zum wiederholten Male zum Klassensprecher gewählt wurde. Darüberhinaus ist er ein leidenschaftlicher Basketball-Spieler - laut seinem Trainer in der U 14-Mannschaft des SV 03 Tübingen "ein herausragen-des Basketballtalent". Seine achtjährige Schwester Juliana geht in die 3. Klasse der Aisch-bachschule. Auch sie ist eine gute Schülerin und fällt vielfach positiv auf. Ihre Mutter, Frau Ankica Dumancic, ist seit zwei Jahren, also seit der 1. Klasse, stellvertretende Elternvertre-terin der Klasse. In dieser ehrenamtlichen Funktion hat Frau Dumancic unter anderem engagiert beim Aufbau der Hausaufgabenbetreuung an der Grundschule im Aischbach mitgehol-fen, hat ausländische Kinder beim Lernen unterstützt und kompetent begleitet. (Nebenbei gesagt ist ihr erlernter Beruf Grundschullehrerin.)

Antonio und Juliana sowie ihre Eltern gehören selbstverständlich zu uns. Sie sind hervor-ragend integriert und überall bestens akzeptiert und beliebt. Die Dumancics liegen niemandem auf der Tasche, bezahlen Steuern und Sozialversicherung und bringen sich auf verschiedenen Feldern in vorbildlicher Weise in unser Gemeinwesen ein. Und das, obwohl sie seit 5 Jahren mit der Angst vor Abschiebung leben müssen. Warum schafft unser Land keine Bleiberechtsregelung für derartige Fälle?
Dass sie nicht mehr nach Bosnien zurückwollen, nachdem ein entsetzlicher Bürgerkrieg sie zur Flucht und zu einem Neuanfang in Tübingen gezwungen hat, ist doch allzu verständlich! Hier haben sie Ruhe und Unterstützung gefunden und neue Hoffnung auf eine positive Zukunft. Die Eltern haben Arbeit; der Vater bei einer Tübinger Baufirma, die Mutter in einer Zahnarztpraxis. Die Kinder fühlen sich wohl und sind zusammen mit unseren Kindern aufgewachsen - und auch verwachsen. Sie möchten unbedingt weiter zusammen groß werden. Diese Stadt, dieses Land ist diesen beiden Kindern genauso Heimat wie den unsrigen.

Aus den genannten Gründen wollen wir, dass die Familie Dumancic hierbleibt!

Auch der Bürgermeister der Stadt Tübingen, Herr Gerd Weimer, ist mit uns der "Auffassung, dass es eigentlich unmenschlich ist, eine so gut integrierte Familie aus formalen Gründen in ihre Heimat zurückzuschicken." In diversen Antwortschreiben an einige von uns heißt es weiter: "Ich habe mich deshalb in den letzten Jahren (!) mehrfach persönlich um eine andere Entscheidung bemüht. Meine ganze Hoffnung ruhte auf der Petition an den Landtag, die meine Nachfolgerin als Mitglied des Landtags, Frau Rita Haller-Haid, im Landtag nachdrücklich unterstützte. Leider hat aber die Mehrheit im Petitionsausschuss kein Einsehen gehabt und gegen die Familie entschieden."

Der formale Grund der Ablehnung ist unseres Wissens eine zeitweise unverschuldete Arbeits-losigkeit von Herrn Dumancic von Ende September 1998 bis Anfang September 2000, in der er mangels Arbeitserlaubnis beziehungsweise zu kurzen oder überhaupt keinen ‚Duldungen' keine neue Arbeit aufnehmen konnte.

Wir Bürgerinnen und Bürger finden diese Rechtspraxis sehr, sehr fragwürdig. Auf jeden Fall finden wir es nicht richtig, dass Kinder, die hier aufgewachsen und voll integriert sind, schwäbisch und perfekt hochdeutsch sprechen, in unserem Land keine Heimat haben dürfen. Durch eine Abschiebung oder erzwungene Ausreise würden sie mit großer Wahrscheinlich-keit in ihrer Entwicklung brutal gestört werden. Und wir alle - unsere eigenen Kinder beziehungsweise Schülerinnen und Schüler eingeschlossen -, die wir die Familie Dumancic sehr schätzen, wären schwer irritiert. Deshalb appellieren wir an Sie sowie die Landesregierung:

Schaffen Sie eine Bleiberechtsregelung für derartige Härtefälle!
Geben Sie der Familie Dumancic ein Bleiberecht!
Familie Dumancic soll bleiben!


Leserbriefe im Schwäbischen Tagblatt


Den nachstehenden Text verfasste Frau Dumancic schon vor 2 Jahren. Er hat nichts an Aktualität eingebüßt.

Bitte, ein Punkt

Wir sind eine bosnische Flüchtlingsfamilie: Franjo (43 Jahre), Ankica (32 Jahre), Antonio (11 Jahre) und Juliana (6 Jahre). Seitdem wir in Deutschland sind, hat es in unserem Leben immer nur Kommas, also "Duldungen", gegeben. Wann kommt endlich einmal der Punkt, die Entscheidung, dass wir bleiben können?

Im April 1992 mussten wir unsere Heimat Bosnien verlassen, weil die Spannungen zwischen den Volksgruppen zum Krieg geführt haben. Da wir viele Verwandte in Tübingen haben, sind wir nach Tübingen geflohen, wo wir bei unseren Verwandten Zuflucht fanden. Unser Sohn Antonio war damals 11/2 Jahre alt. Unsere Tochter Juliana wurde 1995 in Tübingen geboren. Unsere beiden Kinder sind also hier aufgewachsen, Tübingen ist für sie in all den Jahren ihre Heimat geworden. Bosnien dagegen ist für sie ein fremdes, unbekanntes Land.

Antonio besucht seit diesem Schuljahr das Wildermuth-Gymnasium. Er ist der Klassensprecher. Davor war er in der Pavillon-Grundschule und im Stiefelhof-Kindergarten. Er hatte nirgendwo Schwierigkeiten, im Gegenteil. In seiner Freizeit spielt er Basketball mit seinen Freunden und beim SV 03 in der D-Jugend. Schon seit Jahren schaut er sich regelmässig samstags in der Uhland-Halle die Basketball-Turniere an, zusammen mit seinem Vater. Basketball ist Antonios grosse Leidenschaft, aber er geht auch gerne in die Schule. Unsere Juliana ist seit Anfang September Erstklässlerin in der Aischbachschule. Sie hat sich schon lange auf die Schule gefreut und lernt sehr eifrig. Davor hat sie den Kindergarten Westbahnhof besucht. In Tübingen leben außerdem ihre Großeltern und die meisten ihrer Tanten, Onkel, Cousinen und Cousins.

Unsere Kinder sind Tübinger wie andere Kinder in Tübingen auch, perfekt deutschsprechend und hier beheimatet. Sie und wir, ihre Eltern, wir können uns nicht vorstellen, das alles wieder aufzugeben und nochmals völlig bei Null anzufangen. Doch seit 3 1/2 Jahren gibt es einen grossen schwarzen Schatten über ihrer Kindheit und unserem Leben: die Abschiebung. Seit 3 1/2 Jahren kämpfen wir mit diesem Problem. 1992 haben wir unsere Heimat, unseren Besitz, unsere Arbeit, unsere Freunde, unsere Identität ... verloren - wegen dem Krieg. Seit 1998 haben wir im Prinzip wieder das gleiche Problem, nämlich dass wir wieder alles verlieren sollen und von hier verschwinden sollen - gegen unseren Willen. Seither haben wir Schreckliches durchgemacht.

Zuerst wurde Druck mit Briefen gemacht, dann konnten wir keine "Duldung" mehr bekommen. Ohne "Duldung" bekommt man auch keine Arbeitserlaubnis mehr vom Arbeitsamt. Also hat mein Mann seine Arbeit bei einer Reinigungsfirma verloren. Dann sollten wir beim Ausländeramt unterschreiben, dass wir "freiwillig" Deutschland verlassen wollen. Aber unser Wunsch war zu bleiben; eine Rückkehr nach Derventa, wo wir herkommen, war damals absolut unmöglich. Also haben wir nicht unterschrieben. Deswegen haben sie auf dem Ausländeramt dann unsere Pässe behalten. Wir hatten immer so eine entsetzliche Angst, nachts abgeholt und nach nirgendwo, ins Nichts abgeschoben zu werden. Auf dem Ausländeramt wurde uns mehrmals damit gedroht. Es war ein permanenter Alptraum. Wir waren Opfer eines psychologischen Krieges.

Um uns zu verteidigen, haben wir Hilfe bei Rechtsanwälten gesucht. Herr Bona, ein Rechtsanwalt in Reutlingen, hat uns viel geholfen, diesen grausamen Druck auszuhalten. Er ist für uns bis zum Verwaltungsgerichtshof in Mannheim gegangen. Aber alles ohne Erfolg. Im Jahre 2000 haben wir glücklicherweise durch Leidensgenossen Frau Odinius kennengelernt. Sie hat uns seither viel Beistand und Hoffnung gegeben. Sie ist für uns alle eine sehr grosse psychologische und diplomatische Hilfe. Diese Unterstützung ist wirklich unbezahlbar!

Gottseidank hat mein Mann Franjo im September voriges Jahr wieder eine Arbeit gefunden bei der Baufirma Fritz Müller in Lustnau. Und gottseidank hat das Arbeitsamt ihm die nötige Arbeitserlaubnis gegeben, was auch nicht so einfach ist. Zusammen mit der Firma Müller und unserem Rechtsanwalt hat Frau Odinius unsere Situation schon deutlich entspannt. Seitdem sind die Leute auf dem Ausländeramt auf einmal auch viel freundlicher zu uns. Doch bekommen wir leider nach wie vor nur eine "Duldung" für ein oder zwei Monate und keinen richtigen Aufenthalt. Eine "Duldung" kostet jedesmal 75 Mark. (Für Rechtsanwälte und Gerichte haben wir übrigens bisher schon mehr als 11.000 Mark bezahlen müssen.)

Wenn Deutschland jetzt eine Einwanderungsland sein will, warum dürfen wir dann nicht hierbleiben? Wann kommt endlich der erlösende Punkt?

2.10.2001
Ankica Dumancic

 

   

 

 

 

 

 

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