Asylarbeit
Kirchenasyl

 

 

 

 

  Pressemeldungen

Südwestdeutsche Zeitung, Stuttgarter Zeitung Nr. 25,
Samstag, 31. Januar 2004, S. 6

Abschiebungen zwischen Bürokratie und Politik

"Dann lasst sie doch die paar Monate noch da". Kurz vor dem Abitur muss eine Abschiebung nicht sein, meint Thomas Schäuble.
Foto Zweygarth

Innenminister plädiert für Augenmaß

Thomas Schäuble (CDU) sieht durchaus einen zeitlichen Spielraum bei Abschiebungen

Die Landesregierung hat jüngst zwei vietnamesischen Schülern die Rückkehr nach Deutschland gestattet. Das Freiburger Regierungspräsidium hatte dies zuvor abgelehnt. Andrea Koch-Widmann hat mit Innenminister Thomas Schäuble (CDU) über Ermessensspielräume und rechtliche Zwänge gesprochen.

Herr Schäuble. Sie und Ministerpräsident Erwin Teufel haben entschieden, dass Thi und Duc ihren Schulabschluss in Deutschtand machen dürfen. Freuen Sie sich über das Lob, menschlich gehandelt zu haben?

Man wird natürlich lieber gelobt als kritisiert. Solche Entscheidungen sind immer sehr problematisch. Wir haben eben gesagt, dass wir dem Mädchen, für das sich die Zinzendorf-Schulen und andere Persönlichkeiten eingesetzt haben - der Bruder segelt gewissermaßen im Schlepptau mit - einen Schulabschluss ermöglichen wollen. Damit ist überhaupt kein Vorwurf an die Adresse des Freiburger Regierungspräsidiums verbunden.

War dies ein Gnadenakt, oder war das rechtlich begründet?

Es gibt keine rechtliche Grundlage, die besagt, dass man in solchen Fällen den Betreffenden ein Aufenthaltsrecht zubilligt. Das könnten wir auch nicht, diese Entscheidungen trifft das Bundesamt. Aber bei der Frage, wann die Abschiebung vollzogen wird, gibt es eine zeitliche Bandbreite.

Hätte das Freiburger Regierungspräsidium nicht abschieben müssen, sondern einen Ermessensspielraum gehabt?

Wir haben keinen gesetzlichen Ermessensspielraum. Aber eine Abschiebung muss organisiert werden, man kann nicht alle Ausreisepflichtigen gleichzeitig abschieben. Das nachvollziehbare Argument war: Beide Schüler stehen kurz vor dem Schulabschluss, da fehlt vielleicht ein halbes Jahr. Um einen solchen Zeitpunkt kann man eine Rückführung eigentlich immer hinausschieben.

Haben Sie einen Präzedenzfall geschaffen, eine Lex "Thi und Duc", auf die sich nun andere berufen können?

Ich sage es noch einmal: Die Tatsache, dass jemand einen Abschluss machen will, führt nicht zu einem Aufenthaltsrecht. Das Regierungspräsidium hat natürlich die Sorge, dass andere sich auf diesen Fall berufen. Aber da würde ich nach dem gesunden Menschenverstand sagen, wenn es nur um einige Monate geht, kann ich, ohne dass das Recht verletzt wird, die Vollziehung um eine begrenzte, enge Zeit hinausschieben. Wenn jetzt zum Beispiel im Bereich des Regierungsbezirks XY ein Fall vorliegen würde, wo jemand zurückmüsste, aber auch Erfolg versprechend vor dem Abitur steht, würde ich genauso sagen: Dann lasst ihn doch die paar Monate noch da.

Die Mitarbeiter der Bezirksstellen für Asyl fühlen sich vorgeführt als Paragrafenreiter. Müssen diese nun ihre Abschiebepraxis überdenken in puncto Augenmaß?

Das tun sie. Sie bemühen sich um Augenmaß, aber bei der Vielzahl der menschlich schwierigen Fälle kann immer etwas geschehen. Ich bin mit der Arbeit der Bezirksstellen hochzufrieden. Die Entscheidung, Thi muss gehen, ist rechtlich korrekt. Daran ändert sich jetzt nichts, sie kriegt kein Daueraufenthaltsrecht. Aber in diesem Fall war einfach die Überlegung richtig, das Mädchen soll eine sehr gute Schülerin sein. die schafft das Abitur sogar sehr gut, ihre Kosten sind abgedeckt. Darauf hat auch Bischof Fürst verwiesen. Dass man ihr noch wenige Monate in Deutschland ermöglicht, damit sie das Reifezeugnis bekomme, ist umgekehrt, glaube ich, in jeder Hinsicht vertretbar.

Es heißt, es gebe öfter Probleme bei den Abschiebungen, weil immer mehr Familien mit Kindern betroffen seien. Wäre es da nicht sinnvoll, wie in Nordrhein-Westfalen eine unabhängige Härtefallkommission zu schaffen?

Wir - und damit meine ich auch die Bezirksstellen - versuchen oft, in den menschlich schwierigen Fällen im Rahmen des geltenden Rechts eine Lösung zu finden, die den Betroffenen einigermaßen entgegenkommt. Ich wäre froh, wenn wir eine Härtefallregelung hätten. Aber es gibt noch keine bundesgesetzliche Grundlage. Nordhrein-Westfalen macht das dennoch, das ist nicht unsere Art in Baden-Württemberg. Im Entwurf der Bundesregierung zur Zuwanderung ist eine Härtefallregelung vorgesehen. Die meisten in der Zuwanderungsarbeitsgruppe würden das begrüßen, um in menschlich schwierigen Fällen helfen zu können, ohne gegen geltendes Recht zu verstoßen.


Instanz für Härtefälle notwendig

Land will keinen Alleingang

Thi und Duc hat der Einsatz ihrer Freunde geholfen. Die beiden jungen Vietnamesen dürfen zurückkommen, um ihre Schulabschlüsse zu machen. Angesichts der vielen "menschlich schwierigen Fälle" wäre der Innenminister froh über eine Härtefallregelung auf Bundesebene.

Von Andrea Koch-Widmann

Der Fall der abgeschobenen Thi und Duc zieht Kreise. Allein vorgestern seien mindestens fünf "schwierige" Fälle auf seinem Schreibtisch gelandet, sagt der Innenminister des Landes, Thomas Schäuble (CDU). Mindestens 20 bis 30 seien es gerade aktuell. Alle erhoffen sich in letzter Sekunde eine Rettung vor der angedrohten Abschiebung.

Eine unabhängige Instanz wie die Härtefaltkommissionen in Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein oder Berlin gibt es in Baden-Württemberg nicht. Das Land will keinen Alleingang. Schäuble verweist auf die im Rahmen des geplanten Zuwanderungsgesetzes der Bundesregierung vorgesehene Härtefallregelung. Wenn das Gesetz scheitere - die CDU wendet sich gegen die von Rot-Grün vorgeschlagene Arbeitsmigration und die generelle Aufhebung des Anwerbestopps - dann nicht an der Härtefallregelung, sagte Schäuble.

Für solche Fälle müssten allerdings auf Bundesebene Kriterien erstellt werden. Der reine Zeitfaktor werde dafür nicht ausreichen. Zumal eine lange Aufenthaltsdauer oft da herrühre, dass die Asylantragsteller jegliche Instanzen- und Verfahrenswege ausschöpften. Wenn allerdings Familien lange hier seien, für ihren Lebensunterhalt sorgten, die Kinder hier geboren und verwurzelt seien, dann gehe es "in den Bereich eines Härtefalls". Dennoch könne man eine Abschiebbarkeit nicht nur deshalb ausschließen, weil es für die "Kinder eine große Tragödie" sei, die unter dem "Fehlverhalten der Eltern" zu leiden hätten. "Dann liefe gar nichts mehr."

Keine Chance bei einer Härtefallkommission hätte für Schäuble die als "unmenschlich" kritisierte Trennung einer Familie aus dem Kreis Ludwigsburg. Dort sollte eine Mutter mit vier Kindern zurückgeschickt werden. Erst am Flughafen wurde festgestellt, dass die Asylverfahren für zwei Kinder - zwei Jahre alt und ein neun Monate altes Baby - noch nicht abgeschlossen waren. Die Mutter wurde mit zwei Kindern abgeschoben, die zwei jüngsten blieben hier. Das sei rechtlich korrekt, pflichtet Schäuble dem Stuttgarter Regierungspräsidium bei. "Die Mutter hätte alle vier mitnehmen können. Wir würden uns sonst hilflos ausliefern."


Wäre Augenmaß und eine Härtefallregelung nicht auch angebracht für die von der Abschiebung bedrohten Familie Dumancic in Tübingen?

Lesen Sie dazu die Meldung in der Südwestpresse / Schwäbisches Tagblatt vom 28. 1. 2004

 

Kirch am Eck
Predigten
Religiöse Fragen
Texte
Aktuelle Infos
Menschen in Not und Leid
Asylarbeit
Kirchenasyl
Gerechtigkeit, Friede und Bewahrung der Schöpfung
Für Sie gelesen
Humor
Französisches Viertel
Christlich-islamischer
Dialog
Die Seite für Ausländer
Links
Chat
 Wir über uns

Webmaster