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Philipp Lersch

Die Philosophie des Humors

Zu den Anlagen der Natur, die dem Menschen durch ein wohlwollendes Geschick verliehen werden und durch keine Absicht und Anstrengung des Willens zu ersetzen sind, gehört der Humor. Er wurzelt in jenem Grund der menschlichen Seele, der als Lebensgefühl alle ihre Äußerungen trägt und durchtönt: als dunkle Schwermut, als verärgerte Verbitterung, als missmutige Verdrossenheit und als lebensbejahende Heiterkeit. Und wie Schwermut, Verbitterung und Missmut das Vokabular sind, nach dem die Welt und das Leben von denen gelesen werden, die jenen Stimmungen verhaftet sind, so ist die Heiterkeit das Lebensgefühl, aus dem allein der Humor entspringt. Ihr Licht, das die Welt überstrahlt, und ihr Blick, der über alles Enge und alle Beengtheit hinaussieht auf den Reichtum der Welt, gehören zu den Kräften, aus denen der Humor lebt.

Freilich ist seine Heiterkeit von besonderer Art. Sie ist nicht gedankenlose Lustigkeit, die, weil sie um jeden Preis auf ihre Rechnung kommen will, sich nur den vergnüglichen Dingen zuwendet, die wegsieht von allem Betrüblichen, das zu ihrer Stimmung nicht taugt, und die entweder ihren Spaßmacher sucht oder sich selbst zum Schauspieler des Komischen macht. Vieles, was sich heute unter dem Titel des Humors anbietet, ist solcher Art und hat im Grunde mit Humor nichts zu tun. Denn der Humor ist nachdenklich, nicht gedankenlos, tiefsinnig, nicht oberflächlich. Seiner Heiterkeit ist das, was Dante "la grande tristezza", die große Traurigkeit genannt hat, im innersten vertraut. Der Humor ist ernst und heiter zugleich. Darin liegt seine Größe und seine Weite. Die Weisheit, dass nichts Irdisches und Menschliches vollkommen ist, macht seinen Ernst aus. In der Gewissheit aber, dass alles auch gut ist, weil es in der Gnade des Daseins steht, liegt seine Heiterkeit. "Humor ist, wenn man trotzdem lacht", hat Otto Julius Bierbaum treffend und knapp gesagt. Das Lachen des Humors ist recht eigentlich ein Gruß an das Dasein. Humorlos aber ist jeder, der die Unzulänglichkeiten des Daseins, vorab die seiner Mitmenschen, allzu ernst nimmt und böse Miene macht zum guten Spiel. Was ihm fehlt, ist jene Einstellung, die Dinge und Umstände, Menschen und menschliche Verhältnisse in den Unzulänglichkeiten und Schwächen des irdischen Daseins durchschaut, immer aber im sicheren Besitz eines Standortes, von dem aus diese Unzulänglichkeiten und Schwächen selbst wieder relativiert, liebevoll verstanden und verziehen werden. Das eben ist Humor. So schildert Cervantes in der Gestalt des Don Quichotte einen Menschen der Torheiten und Lächerlichkeiten als Gleichnis des Menschlichen überhaupt; aber das ist das Geheimnis seines Humors, dass unter seinen Händen die menschlichen Torheiten und Lächerlichkeiten liebenswert erscheinen. Der Humor ist sich der Not, des Leidens und des Bösen in der Welt durchaus bewusst, aber er weiß, dass sie nicht die letzten Tatsachen des Lebens sind.

So teilt er den Dingen das Maß ihrer Wichtigkeit zu und lässt sich nicht vom Anspruch angemaßter Wichtigkeit imponieren. Er ist wesentlich kritisch und entlarvt alles Pathos und alle Illusionen, die sich der Mensch über sich selbst und über die Welt macht. Das aber, was hinter der Attrappe von Pathos, Illusion und Selbsttäuschung zum Vorschein kommt, betrachtet er aus der Kraft seiner Heiterkeit mit dem Blick der Güte. Er hat den Willen, ohne Illusionen zu leben, und die Kraft, dennoch das Leben zu bejahen. Wo er Kritik übt, da geschieht es immer, ohne wehe zu tun, gleichsam im Bewusstsein gemeinsamer Verantwortung und deshalb so, dass auch der Betroffene selbst mitlachen kann. Er will dem anderen die Freude nicht verderben, und doch liegt in seiner Kritik, diskret und unaufdringlich, eine erzieherische Absicht und Mahnung. All das unterscheidet den Humor von der Lieblosigkeit der Ironie, des Spottes und des Hohnes, des Sarkasmus und Zynismus, die verletzen wollen und aus dem Affekt der Schadenfreude leben. Der Humor will nicht lächerlich machen, wie jene, sondern er will lächeln machen. Er lacht nicht auf Kosten des anderen, sondern so, dass sein Lachen dem Belachten gutgeschrieben wird. In seiner Kritik liegt etwas Versöhnliches, die Gesinnung der Nachsicht und Güte, das Verständnis des großen Mitgefühls, der Duldsamkeit und Geduld, ein Geltenlassen dessen, was ist, trotz aller Unzulänglichkeiten - einfach deshalb, weil es ist und zum Bereich des Menschlichen und Irdischen gehört. Das meinen wir, wenn wir von der Wärme des Humors im Gegensatz zur Kälte und Schärfe von Ironie, Spott und Hohn, Sarkasmus und Zynismus sprechen.

Noch ein anderer Zug hebt den Humor von diesen Haltungen ab. Sie wollen triumphieren, sie sind Attitüden der Überlegenheit und Überheblichkeit, demonstrative Hinweise, wie anders und besser man selbst ist. Wenn aber der Humor wesentlich kritisch ist, so beginnt seine Kritik bei sich selbst. Die eigene Person allzu wichtig nehmen und nicht über sich selbst lachen können ist immer ein Zeichen von Humorlosigkeit. Wo der Abstand zu sich selbst fehlt, da fehlt auch der Humor. Das gilt für alle Menschen, bei denen die Ansprüche der eigenen Wichtigkeit im Vordergrunde stehen. Pedanterie und Grundsätzlichkeit, Prestigesucht und Machtanspruch, Empfindlichkeit und Kränkbarkeit sind Feinde des Humors. Aus der gleichen Wurzel versteht sich auch die radikale Humorlosigkeit des Neides und des Ressentiments, die in dem Bewusstsein unerfüllter Ansprüche und dem Gedanken, immer zu kurz zu kommen, leben.

Noch aber ist der innerste Wesenskern des Humors nicht genannt. Er liegt, so ketzerisch das klingen mag, in der Kraft der religiösen Haltung. Denn der Humor sieht das Irdische und das Menschliche in seiner Unzulänglichkeit zu Gott. Aber er sieht es im Spiegel der Liebe Gottes zu seiner Schöpfung, ohne freilich deshalb von Gott reden und zum Theologen werden zu müssen. Er spricht aus der Resignation der Erkenntnis, dass alles Irdische und Menschliche unvollkommen ist. Aber diese Resignation ist selbst wieder als etwas Irdisches und Menschliches aufgehoben in der Gewissheit, dass alles Endliche von der Gnade Gottes umgriffen ist. So ist der Humor Liebe und Frömmigkeit zur Welt gerade dort, wo er ihre Unzulänglichkeit und ihre Torheit, ja selbst ihre Bosheit aufzeigt. Er liebt die Welt trotz ihrer Unvollkommenheit, ja gerade in ihr, wie er den Schatten liebt um des Lichtes willen, das ihn erzeugt. Liebe aber ist immer ein Jasagen zu dem, was ist, so, wie es ist, und eine Freude darüber, dass es ist. So ist die Weltliebe des Humors zugleich auch Weltfreude, die Dankbarkeit zu Gott, in dieser unvollkommenen Welt leben zu dürfen.

Das ist das religiöse Ethos des Humors. Aber er enthält zugleich auch eine Philosophie. Die Überzeugung nämlich, dass die Welt vor Gott nicht ein Letztes, sondern immer nur ein Vorletztes ist. Nicht freilich in dem Sinne, als ob die Wirklichkeit Täuschung und Schein sei, verzaubert durch den Schleier der Maja, der das Wahre und Eigentliche verhüllt, sondern dass sie wirklich ist in ihrer Dinglichkeit und Tatsächlichkeit und doch nur ein unvollkommenes Gleichnis des Ewigen. Wie die echte Liebe nicht blind, sondern sehend ist, so ist der Humor der große Realist, der es dank der Kraft seiner Heiterkeit, seiner Liebe und seines Glaubens nicht nötig hat, sich die Dinge als täuschenden Schein von der Seele zu lügen und ins Reich weltfremder Ideale zu flüchten. Er ist aber auch nicht eine Sache des Augenblicks, in dem wir die Mühseligkeiten und Nöte des Lebens zu vergessen suchen, sondern eine Haltung, die unser Verhältnis zur Welt und zum Leben im Bewusstsein des Ewigen bestimmt und sich in jedem Augenblick bewährt.

Es lohnt sich, von hier aus die Frage zu stellen, wie weit der Mensch der Gegenwart dieser Haltung noch fähig ist. An Realismus und klarem Blick für die Dinge fehlt es ihm nicht. Keine Zeit war nüchterner und illusionsloser als die unsrige. Auch Anlass zum Ernst hat er genug. Um so mehr aber fehlt es ihm an den übrigen Voraussetzungen des Humors: an Abstand zu sich selbst, an Weltfrömmigkeit und Liebe. Die Entwicklung des Rationalismus in Technisierung und Industrialisierung hat es mit sich gebracht, dass die Technik des menschlichen Daseins ganz auf die Belange der Selbstsicherung, der Geltung und der Macht eingeschrumpft und das Ich des Einzelnen in den Mittelpunkt seiner Welt gerückt ist. jenes großmütige und weitherzige Geltenlassen des Anderen, das aus der Freiheit von sich selbst kommt und den Humor auszeichnet, ist außer Kurs gesetzt. Die Welt wird gesehen als ein Ding, mit dem man etwas machen, das man benutzen, ausnützen und verwerten kann. Die Jagd nach Fortkommen und Erfolg hält den Menschen in Angst und Sorge und unterbindet die Heiterkeit, die über sich selbst hinaussieht und die Wirklichkeit als ein Geschenk der Schöpfung dankbar empfängt. Sie lässt den Menschen des Augenblicks nicht froh werden. Denn der Taumel des Vergnügens, an dem man sich totlachen könnte, ist nur ein Surrogat echter Freude, ein Urlaub von der Not des Lebens, zu der man mit Missvergnügen und schlechtem Gewissen zurückkehrt. Das alles ist humorlos, denn - noch einmal - "Humor ist, wenn man trotzdem lacht."

In: Philipp Lersch: Der Mensch als Schnittpunkt. Fragen zur Psychologie und Anthropologie der Gegenwart. München 1969, 172-176. - Erschienen in "Die Neue Zeitung", 11. November 1946.

 
 

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