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Schwäbisches
Tagblatt 7. August 2002

Spielerisches Tanz-Training
mit Sultan Güler: Zum Abschiedsfest nach ihrem sechsmonatigen Praktikum
hat die 28-jährige Kurdin mit den Kindern ihrer Gruppe aus dem
Carlo-Steeb-Kinderhaus arabische Folkloretänze eingeübt. Bild:
Faden
Erste Schritte
in die Freiheit
Seit der Duldung sammeln
Sultan und Ahmet Güler Erfahrungen im Berufsalltag
Von Christiane Hoyer
TÜBINGEN. "Wir
sind auf der Suche nach unserer Freiheit." Ahmet Güler und
seine zwei Schwestern Fatma und Sultan sind seit Ende Februar als kurdische
Flüchtlinge geduldet. Nach 18 Monaten Kirchenasyl im Mesnerhaus
der Tübinger Martinskirche können sie sich frei bewegen. Sie
versuchen im Arbeitsalltag Fuß zu fassen und wollen eine Ausbildung
beginnen. Eine "endgültige Lösung" für die
gesamte Familie ist nach Auskunft von Pfarrer Helmut Zwanger "in
Arbeit".
Die Familie ersehnt eine
Perspektive. Ein neues Gutachten des Tübinger Psychiatrie-Professors
Klaus Foerster über Hatice Güler, die Mutter von Ahmet, Fatma
und Sultan, hat bestätigt: Die schwer traumatisierte Frau, die
in der Türkei mehrfach gefoltert wurde, kann aus psychiatrischer
Sicht nicht in ihr Heimatland zurück. Ihr Rechtsanwalt Manfred
Weidmann hofft nun, dass die Familie eine Aufenthaltsbefugnis in Deutschland
erhält, die ihr in den vergangenen zwölf Jahren nicht erteilt
wurde. Danach dürften Gülers zunächst acht Jahre in der
Bundesrepublik bleiben, bevor ihr Status in eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis
umgewandelt würde, erklärt der Anwalt die Raffinessen des
deutschen Ausländerrechts.
Als den Gülers vor zwei Jahren in Wehingen (Kreis Tuttlingen) die
Abschiebung drohte, fanden sie Zuflucht in der Martinskirche. Ein Unterstützerkreis
mit neun Kirchengemeinden erreichte, dass das Stuttgarter Innenministerium
zunächst eine auf drei Monate befristete Duldung aussprach, die
nun bis Mitte August noch einmal verlängert wurde. "Es wird
in absehbarer Zeit eine endgültige Lösung geben", erklärt
Pfarrer Zwanger. Auch Manfred Weidmann sieht für Gülers einen
"Silberstreif am Horizont".
Dieser Hoffnungsschimmer
bedeutete für die Güler-Kinder zunächst: Sie haben eine
Arbeitserlaubnis, wohnen aber nach wie vor zu fünft in der Zwei-Zimmer-Wohnung
neben der Martinskirche. "Mein größter Wunsch ist ein
eigenes Zimmer", sagt Sultan Güler. Die 28-jährige hat
in den vergangenen Monaten ihr Vorpraktikum im Carlo-Steeb-Kinderhaus
gemacht. Im September möchte sie eine Ausbildung als Erzieherin
beginnen.
Beim TAGBLATT-Besuch im Kinderhaus
übt Sultan mit den Kleinen aus der "gelben Gruppe" arabische
Folkloretänze für eine Aufführung. Sie legt im Gymnastikraum
eine Musik-Kassette in den Rekorder, und zehn Kinder beginnen zu tanzen.
Erst schwingen sie die Arme mit bunten Glitzertüchern über
den Kopf. "Das muss aussehen wie ein Schmetterling!", ruft
Sultan. Dann kommt die Schrittfolge im Vierertakt. Schließlich
beginnen die Kleinen, mit den Hüften zu kreisen. Sultan lobt: "Super
gut!"
Jeden Montag und Mittwoch
hat Sultan in den vergangenen drei Monaten mit den Kindern getanzt,
hat ihnen gezeigt, wie in ihrer anatolischen Heimat die Feste gefeiert
werden. Die Kinder selbst, erzählt sie, wollten die Volkstänze
lernen. Anfangs hat sie auch ein Sprachforum für türkische
Kinder im Steebhaus angeboten und mit ihnen Bücher auf Deutsch-Türkiscb
gelesen und übersetzt. Nach der Isolation im Kirchenasyl fühlte
sie sich zunächst "unsicher" im Umgang mit den .Mitarbeiterinnen,
wusste nicht, ob sie sich für die Erzieherinnen-Ausbildung anmelden
soll. Doch die Arbeit mit den Kindern macht ihr viel Spaß. Sie
weiß allerdings noch nicht, wie sie die Schule finanzieren soll.
Denn mit dem Duldungs-Status hat sie keinen Anspruch auf staatliche
Unterstützung.
Auch ihr 21-jähriger
Bruder Ahmet bekommt keine "ausbildungsbegleitenden Hilfen",
wenn er im Sommer mit seinem dritten Lehrjahr als Heizungsbauer beginnt.
Um "wieder reinzukommen", hat er bis Mitte Juli bei einem
Tübinger Sanitärbetrieb gearbeitet.- "Das war eine große
Abwechslung, man hatte etwas zu tun", beschreibt Ahmet die vergangenen
Monate, in denen er um 6 Uhr früh aus dem Haus ging. Er musste
in Wehingen seine Lehre wegen der drohenden Abschiebung unterbrechen.
Die knapp 29-jährige
Fatma muss sich noch gedulden: Sie möchte Friseurin werden und
hatte auch schon eine Lehrstelle, doch ihr fehlt noch die schulische
Abschlussprüfung. Beim ersten Versuch vor kurzem hat es nicht geklappt,
bedauert sie.
Mit ihrer Ausbildung im Verzug
sind die jungen Gülers auch deshalb, weil sie in der Zeit ihrer
Asylverfahren in Wehingen keine Arbeitserlaubnis bekamen. Auch jetzt,
sagen alle drei, "ist es für uns immer noch schwierig, Pläne
zu machen". Das Zusammensein mit Freunden, die außerhalb
des Landkreises Tübingen wohnen, ist jetzt zwar möglich. Aber
ein Urlaub am Meer bleibt für Gülers ein Traum. Sie leben
von dem bisschen Geld, das sie im Praktikum oder in der Lehre bekommen,
die Tübinger Kirchengemeinden unterstützen die Familie über
Spenden, die Wohnung wird kostenlos zur Verfügung gestellt. Bis
November, sagt Anwalt Weidmann, wird die Duldung verlängert. Und
dann? Sultan ist vorsichtig: "Alles ist noch offen."
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