Predigten

 
 

"Beziehungen gestalten - Konflikte bewältigen"

Fastenpredigt am 2. Fastensonntag, 7.3.2004 (Marlies Mittler-Holzem)

David, Saul und Jonathan

Belebt Konkurrenz das Geschäft?

Liebe Zuhörerinnen, liebe Zuhörer,
Sie kennen das Sprichwort: Konkurrenz belebt das Geschäft. Meistens wird es gesagt, wenn in der Nähe z.B. eines Arztes oder eines Geschäftes sich jemand mit einer ähnlichen Geschäfts-Idee niederlässt. Und die These dahinter heißt erstmal: Konkurrenz ist von Vorteil für das Geschäft: Im Wettstreit um die Kunden gibt es neue Ideen, und die Aufmerksamkeit der Konkurrenten erlahmt nicht. Konkurrenz ist dann auch von Vorteil für die Kunden und - solange genug Marktchancen für beide vorhanden sind - kann die Konkurrenz auch für die Konkurrenten als belebend empfunden werden.

Die Erzählung von Saul, Jonatan und David ist auch eine Konkurrenz-Geschichte. Allerdings geht es um die eine Königswürde, Job-Sharing kommt nicht in Frage. Die Konkurrenz ist also zugespitzt und deshalb nicht belebend, sondern lebensgefährlich. Konkurrenz - so sagt unsere Geschichte - ist eine Auseinandersetzung um Macht und Erfolg. Und die weckt intensive Gefühle: Liebe, Bewunderung, Neid, Angst, Misstrauen - und Hass.

Unser Text steht im ersten Samuel-Buch, einem der Geschichts-Bücher des Alten Testaments. Den Schreibern geht es nicht darum, Geschichte als Ablauf historischer Fakten aufzuschreiben. Geschichte zu schreiben heißt für die Verfasser, die geschehenen Ereignisse im Licht des Glaubens zu deuten. Geschichte ist für die Verfasser der Weg Israels mit seinem Gott. Israelitische Geschichtsschreibung ist also Theologie, aufgeschrieben mit dem Ziel, aus der Vergangenheit für die Zukunft zu lernen.
Ich habe mich dafür entschieden, diese Geschichte im Sinne ihres Schreibers zu lesen, seiner Deutung zu folgen. Es könnte ebenso interessant sein, unsere Geschichte "gegen den Strich" zu lesen, nachzuforschen, wie es wirklich war, wo der Schreiber seine Interessen einträgt, wo er glättet, wo er eine Figur sympathischer oder unsympathischer macht, als sie - vielleicht - gewesen ist. Als "kleine Anleitung für den Umgang mit Konkurrenz" ist der Text allerdings sehr reizvoll, so wie er dasteht.

Da unser Text nur ein kleiner Ausschnitt aus einer sechszehn Kapitel langen Erzählung ist, werde ich Ihnen vorab die handelnden Personen vorstellen: (Dia zeigen)

1. König Saul, der erste König Israels, zu Anfang sehr erfolgreich in der Verteidigung des Landes und beim Volk sehr anerkannt. Seine Charakterschwäche: Er ist ein Populist - er gehorcht seinem Volk mehr als seinem Gott. Und das, so sagt das Samuelbuch, ist das Ende seiner Erfolge. Seine Erfolglosigkeit macht Saul zum Choleriker, der ohne äußeren Anlass wütet und rast. Der Text sagt: "Gottes guter Geist hatte ihn verlassen und ein böser Gottesgeist kam manchmal über ihn." Lange Zeit wurden diese "Zustände" als Depressionen gedeutet, das übersieht allerdings die Aggression, die er gegen andere - und eben nicht zuletzt gegen David richtet.

2. David: Jung, blond, mit schönen Augen, von schöner Gestalt - und der Geist Gottes ist mit ihm. Ein begabter Zither-Spieler muss er sein, denn er wird an den Königshof gerufen, um Saul zu besänftigen, wenn der in der Gewalt des bösen Geistes ist. Die Nähe Davids tut Saul gut, denn sobald David spielt, weicht der böse Geist von ihm. Saul gewinnt David lieb und macht ihn zu seinem Waffenträger, damit er ihn immer in seiner Nähe hat. Und der junge David ist es auch, der Saul aus der Klemme mit den übermächtigen Philistern rettet, indem er deren Vorkämpfer Goliath mit einer Schleuder und fünf Kieselsteinen erledigt. David, der junge, schöne, musikalische und einfallsreiche Hirtenjunge, der immer in Bereitschaft ist, dem großen und mächtigen König Saul zu Hilfe zu sein. Saul und David, die beiden sind uns wohlbekannt, und es gibt viele künstlerische Darstellungen dieser beiden, ähnlich dieser von Otto Dix aus der Glasmalerei Oidtmann. Sie zeigen einen düsteren Saul und einen Zither spielenden, meist fast kindlich-unschuldigen David. (Dia aus)

Dynamisch und facettenreich aber wird die Erzählung von der Thronkonkurrenz durch einen Dritten.

3. Jonatan: Er ist der erstgeborene Sohn Sauls und daher rechtmäßiger Thronfolger. Er hat seine ersten militärischen Erfolge erzielt und ist deshalb beim Volk angesehen. Schon bevor er sich ausdrücklich gegen seinen Vater und für David entscheidet, ist er - so wie das häufiger zwischen Vätern und Söhnen ist - nicht immer mit dem Verhalten seines Vaters einverstanden: So wagt er in einem Kampf einen - erfolgreichen - Alleingang und kritisiert eine strenge Fastenauflage seines Vaters öffentlich als zu gefährlich. Dieses Fastengebot seines Vaters wäre im beinahe zum Verhängnis geworden: Da er bei der Verkündung nicht anwesend war, hat er in der Fasten-Zeit gegessen. Saul fürchtet den Zorn Gottes und bietet den Tod seines Sohnes an. Nur das entschiedene Eintreten des Volkes für Jonatan rettet ihn. Ob dadurch allerdings das Vater-Sohn-Verhältnis getrübt ist, bleibt Spekulation - der Text sagt darüber nichts.
Jonatan und David werden von ihrer ersten Begegnung an gute Freunde.


Die Dreiecks-Konstellation enthält also folgende Beziehungs-Geschichten:
Eine Vater-Sohn-Beziehung: Saul und Jonatan
Eine intensive Freundschaft: Jonatan und David
Eine Beziehung doppelter Abhängigkeit: Saul und David, denn
· David hält Sauls bösen Geist in Schach
· Saul ermöglicht dem Hirtenjungen David ein Leben am Königshof.

Verhandelt werden in den unterschiedlichen Beziehungen Themen wie alt oder jung, Freundschaft oder Familie, beliebt oder aufbrausend-unberechenbar, machtbewusst oder unehrgeizig.

Soweit also der Hintergrund für unseren Text: 1Sam 18, 1-16

Nach dem Gespräch Davids mit Saul schloss Jonatan David in sein Herz. Und Jonatan liebte David wie sein eigenes Leben.
Saul behielt David von jenem Tag an bei sich und ließ ihn nicht mehr in das Haus seines Vaters zurückkehren.
Jonatan schloss mit David einen Bund, weil er ihn wie sein eigenes Leben liebte. Er zog den Mantel, den er anhatte, aus und gab ihn David, ebenso seine Rüstung, sein Schwert, seinen Bogen und seinen Gürtel. David zog ins Feld, und überall, wohin Saul ihn schickte, hatte er Erfolg, sodass Saul ihn an die Spitze seiner Krieger stellte. David war beim ganzen Volk und bei den Dienern Sauls beliebt. Als sie nach Davids Sieg über den Philister heimkehrten, zogen die Frauen aus allen Städten Israels König Saul singend und tanzend mit Handpauken, Freudenrufen und Zimbeln entgegen. Die Frauen spielten und riefen voll Freude:
Saul hat Tausend erschlagen,
David aber Zehntausend.
Saul wurde darüber sehr zornig. Das Lied missfiel ihm, und er sagte: David geben sie Zehntausend, mir aber geben sie nur Tausend. Jetzt fehlt ihm nur noch die Königswürde. Von diesem Tag an war Saul gegen David voll Misstrauen.
Am folgenden Tag kam über Saul wieder ein böser Gottesgeist, sodass er in seinem Haus in Raserei geriet. David aber spielte wie jeden Tag. Saul hatte den Speer in der Hand. Saul dachte: Ich will David an die Wand spießen!, und schleuderte den Speer, aber David wich ihm zweimal aus. Und Saul begann sich vor David zu fürchten, weil JHWH mit David war, Saul aber verlassen hatte.
Darum entfernte Saul David aus seiner Umgebung und machte ihn zum Obersten einer Tausendschaft. So zog David an der Spitze der Leute hinaus (in den Krieg) und wieder heim.
David hatte Erfolg, wohin ihn auch sein Weg führte, und JHWH war mit ihm. Als Saul sah, dass David sehr erfolgreich war, bekam er noch mehr Angst vor ihm. Ganz Israel und Juda aber liebte David, weil er an ihrer Spitze hinaus (in den Krieg) und wieder heimzog.

Unser Text zeigt, dass Konkurrenz zuallererst im Kopf entsteht - und zwar im Kopf dessen, der um seine Position fürchtet. Seit die Frauen im Lied Davids Erfolg über Sauls Erfolg gestellt haben, verengt sich Sauls Blick immer mehr auf die Erfolge Davids: "David hatte Erfolg", "David war sehr erfolgreich". Die bittere Erfahrung der eigenen Erfolglosigkeit wird dramatisch gesteigert durch die Erfolgskette Davids.
Im gleichen Maß steigert sich die Aggression Sauls: "Er wurde zornig", "ich will David an die Wand spießen" "er machte ihn zum Obersten einer Tausendschaft". Und auch einen tiefen Seelenblick ermöglicht der Text: "Er war voll Misstrauen gegen David", "Saul begann sich vor David zu fürchten", er bekam noch mehr Angst vor ihm". Saul lebt nicht mehr für Israel, sondern er lebt gegen David; nicht mehr in der Lage, frei zu handeln, frei zu entscheiden - alle Handlungen sind Angst-geleitete Reaktionen auf den Erfolg Davids. Einen freien Blick für sich selbst hat Saul verloren. Dass David derjenige ist, der seiner Seele wohltut, nimmt er nicht mehr wahr. Dass David derjenige ist, der kriegerische Erfolge für Israel sichert; er sieht es nicht mehr. Ihn treibt nur noch die Gewissheit, dass auf Dauer die Macht hat, wer erfolgreich ist. Deshalb muss sein erfolgreicher Konkurrent vernichtet werden.

David schürt die Konkurrenz nicht aktiv. Es gibt nicht eine Andeutung dafür, dass er gezielt sein Ansehen aufbauen und das von Saul schmälern will. David ist einfach nur - David: Jung, schön, in der Musik ebenso erfolgreich wie im Krieg. Und erfolgreich im Gestalten von Beziehungen, denn alle - Saul am Anfang auch - lieben ihn: die Frauen, die ihm entgegenziehen, Jonatan, die Diener am Hof, ganz Israel, später auch die Tochter des Königs, Michal. Dieser von allen geliebte und erfolgreiche David treibt seine Erfolgsgeschichte nicht auf Kosten Sauls oder Jonatans voran; er agiert nicht gegen Saul, er plant keine Revolte. (Das hat er ja auch gar nicht nötig, könnte man denken; aber oft genug geben sich die Erfolgreichen ja nicht so einfach zufrieden)
David weicht der lebensgefährlichen Konfrontation aus, indem er den Königshof verlässt und untertaucht. Die Probe auf Davids konsequentes Nicht-Angreifen beschreiben zwei Szenen aus dem ersten Samuel-Buch, in denen David dem schutzlosen Saul ganz nah kommt, jedoch sein Leben schont, weil er in Saul den von Gott "Gesalbten" erkennt. Und noch nicht einmal nach Sauls Tod "tritt er nach", sondern beweint in einem Klagelied Saul und den in der gleichen Schlacht gefallenen Jonatan als die "Geliebten und Teuren".

Jonatan verkörpert eine weitere Facette im kreativen Umgang mit Konkurrenz - und wird damit für mich zum eigentlichen Helden der Geschichte: Jonatan hätte allen Grund, David als Rivalen zu fürchten. Denn würde David Saul als König beerben, könnte Jonatan seine Anwartschaft einpacken. Und in den meisten Fällen von Konkurrenz um einen Königsthron wurde der unterlegene Thronanwärter samt Familie unbarmherzig getötet.
Jonatan streckt vor David die Waffen: Der erfolgreiche Krieger gibt Mantel, Rüstung, Schwert und Bogen ab an David, den er - so der Text - liebt wie sein Leben. Das ist keine rührselige Romanze, sondern vermutlich eine tiefe und - im Sinne der Konkurrenz - belebende Einsicht: Dieser David bringt alles mit, was ein König braucht: Erfolg, Machtbewusstsein, Fortune, Beliebtheit, eine gehörige Portion Charme. Deshalb ist es für uns alle besser, wenn er König wird und nicht ich.
Im weiteren Verlauf der Erzählung sichert sich der kluge Jonatan durch einen Bund mit David den zweiten Platz hinter ihm, aber eben auch mit ihm.
Statt mörderischem - und vermutlich trotzdem aussichtslosem - Konkurrenzkampf also bewusster Machtverzicht und gleichzeitige Sicherung eines einflussreichen 2. Platzes.
Das klingt auf den ersten Blick eher schwächlich als attraktiv. Doch Jonatan ist so fest von seiner Haltung David gegenüber überzeugt, dass er - ebenso wie später seine Schwester Michal übrigens - konsequent gegen seinen Vater und damit gegen seine Familie zu seinem Freund David hält und dafür beinahe selbst Opfer der Raserei Sauls wird.


3 Menschen - 3 von vielen Arten, mit Konkurrenz umzugehen
Saul: Hier ist nur Platz für einen von uns beiden - und der will ich sein, mit aller Gewalt.
David: Ich achte diejenigen, die mir voraus sind, tue das meine und warte, bis meine Zeit kommt.
Jonatan: Ich anerkenne, dass mir jemand überlegen ist, mache deshalb den ihm gebührenden Platz frei und unterstütze ihn tatkräftig.

"Beziehungen gestalten - Konflikte bewältigen" ist das gemeinsame Motto der Fastenpredigten in diesem Jahr. Konkurrenz ist eine besondere Form von Konflikten in Beziehungen, die sich nicht nur - wie oben dargestellt - auf Hierarchien beschränkt. Konkurrenz kann es auch geben zwischen Geschwistern, zwischen Ehepartnern, in Freundschaften, unter Kollegen und nicht zuletzt zwischen politischen Parteien.
Konkurrenz ist tödlich - oder mindestens krank machend, wenn ich mich nur noch über den Konkurrenten oder die Konkurrentin definiere: Ich muss besser sein als…, ich kann das schlechter als…, ich bin nicht so erfolgreich wie…usw. Also das Saul-Modell.
Konkurrenz kann belebend sein, wenn ich auf mich selbst schaue: Das kann ich gut, das will ich noch besser können; ich freue mich über das, was mir gelingt. Das Motto dafür könnte lauten: Besser ein mittelmäßiges Original als eine schlechte Kopie. Ich steige nicht auf Konkurrenz-Kampf-Angebote ein, sondern gestalte meine Beziehungen unabhängig: Ich achte mein Gegenüber und gestalte Beziehungen liebevoll. So verstehe ich das David-Modell.
Und in der Konsequenz liegt das Jonatan-Modell, mit Konkurrenz umzugehen: Es kann sein, dass ich jemand an mir vorüberziehen lassen muss, weil er oder sie für eine bestimmte Aufgabe über geeignetere Fähigkeiten verfügt. Diese Einsicht kann schmerzhaft sein und traurig (unser Text sagt darüber nichts) - auf Dauer ist sie entlastend und beziehungsfördernd.

Ein kurzer Ausblick, wie die Geschichte um die drei Männer weitergeht: Nach einem bewegenden Abschied von Jonatan flieht David vom Hof Sauls, um sein Leben zu retten und lebt jahrelang mit einer Art Guerilla-Armee in der Steppe. Mit dem Weggang Davids verlässt auch der Erfolg den Königs-Hof und zuletzt sind es ausgerechnet die Philister, die Saul und Jonatan in einer Schlacht erschlagen. So wird der Weg frei für David.

Zum Schluss bleibt noch eine stachlige Frage übrig: Was hat eigentlich Gott damit zu tun?
Die Samuelbücher sind Königs-Geschichte und Königs-Kritik gleichermaßen. In Israel war man sich immer bewusst, dass zunehmende Machtfülle parallel geht mit sinkendem Gehorsam Gott gegenüber. Deshalb sollte König in Israel nur JHWH selbst sein. Doch das Volk wünschte sich einen König, um mit den anderen Völkern um die Vormachtstellung konkurrieren zu können. Saul ist der erste König in Israel, aber anders als in den umliegenden Kulturen ist der König kein Gott-König; er verfügt über keine besondere übernatürliche Verbindung zu Gott.
Die Samuel-Bücher beschreiben das Königtum als gelungen, wenn der König aus der Gewissheit lebt, dass er für das Volk den Willen Gottes tut. Es misslingt, wenn der König seine Machtfülle missbraucht, um "zu sein wie Gott" - wie wir seit dem Turmbau zu Babel wissen, eine der Ur-Versuchungen für uns Menschen. Je mächtiger ich werde, umso gott-ähnlicher kann ich mich fühlen. Auch das also ein Fall von Konkurrenz. Wer sich allerdings in Konkurrenz gegen JHWH verstrickt, hat keinen Erfolg - das ist der Kern der Samuel-Bücher. Machtausübung in Gottes Sinn gelingt nur, wenn ich anerkenne, dass ich nicht das Maß aller Dinge bin. Machtausübung in Gottes Sinn bedeutet, in einer bedeutenden Position Gottes Willen umzusetzen - nicht den eigenen und auch nicht den der Beifall klatschenden Masse.
Das gilt nicht nur für Könige, das gilt für Abteilungsleiterinnen ebenso wie für Eltern, für Bundestagsabgeordnete wie für Lehrer, für Entscheidungsträger in der Kirche ebenso wie in der Politik - und auch: für Sie und mich. Amen.


 

 

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