Predigten

 

Dem Bösen widerstehen

Gedanken zum Fest des Hl. Michael
am 29./30.9.2001 in Tübingen und Bühl

Den Himmel offen, wie Jesus ihn Natanael verheißen hat, erlebten wir am 11. September diesen Jahres nicht. Im Gegenteil: Aus heiterem Himmel ist mit dem Einsturz der babylonischen Turmbauten in New York auch unsere Vorstellung untergegangen, wir könnten den Himmel auf Erden uns selber schaffen. Wieder einmal, und stets dasselbe: Was wir schaffen zerstören wir, alles ist vergänglich, kein Bestand für ein irdisch Ding unter der Sonne. Die Ursachen sind verschieden, zugegeben, aber das Ende vom Lied altbekannt. Der Untergang der Titanic, Atombomben auf Hiroshima, die Katastrophe von Tschernobyl, die irrsinnige Zerstörung des WTC, der Turmbau zu Babel. Am Ende sind Menschen die Leidtragenden, die mit alledem scheinbar nichts zu tun haben, Unschuldige sagen wir, Opfer. Aber wer ist das schon, heutzutage, wo unsere Welt zusammenschrumpft auf ein Dorf, eingedampft erscheint auf ein paar Gase, die den Geist der gesamten Menschheit enthalten. Der Politiker Peter Struck hat im Bundestag gesagt: „Heute sind wir alle Amerikaner!“ Seine Botschaft ist klar, aber der Inhalt seiner Aussage eine typische gefährliche Verkürzung der tatsächlichen Wahrheit: Wir alle sind nämlich auch Muslime, sind Afghanen, wir sitzen alle im selben Boot auf dem Ozean des Weltgeschehens, und sollten – entschuldigen Sie bitte! – einen Teufel tun, uns in dem Glauben zu wähnen, wir gehörten zum besseren Teil dieses Planeten, zum zivilisierten, wie es heuchlerisch genug oft in den letzten Wochen zu hören war. Ja, unsere Welt teilt sich in gut und böse. Allerdings nicht in den Grenzen, die wir uns gerne einreden, sondern quer durch unser eigenes, persönliches Leben. Dort verläuft die Linie, die Gutes von Bösem trennen könnte, dort ist auch der Drache beheimatet, den Michael in seinem apokalyptischen Kampf besiegt hat. Das Böse gibt es in uns, willentlich und unbewußt, absichtlich getan oder durch unsere Nachlässigkeit ausgelöst. Der Tod der Tausenden von Manhattan ist ein Angriff auf unser eigenes Leben, aber das Sterben der Flüchtlinge in Afghanistan nicht minder und das unendliche Leid so vieler unterernährter Kinder, religiös mißbrauchter Jugendlicher, ja, sogar der wahnwitzige Selbstmord der Attentäter in den Flugzeugen, die den amerikanischen Traum vom machbaren Himmel auf Erden Lügen straften um einen Preis der Gottes Schöpfungsordnung ins Wanken bringt. Wie ist unsere Welt beschaffen, daß so etwas möglich ist? Sind wir bereit, den Teil unserer Schuld am Dilemma der Ungleichheit von Reichtum, Gerechtigkeit und Gesundheit anzuerkennen? Und vor allem die Frage, die zurecht keinen Christen unberührt lassen kann: Was ist jetzt zu tun? Besser: Was sollen wir tun, um etwas Gutes zu vollbringen, dem Bösen zu widerstehen? Was müssen wir als Christen wollen, wenn wir Jesu Weg in diesem Ernstfall folgen, wenn wir den Himmel einmal wirklich wieder offen sehen wollen? Einer gewalttätigen Antwort hat Jesus mit Nachdruck und mit Bezug auf das bisherige Denken seiner Zeit ausdrücklich widersprochen: nicht mehr Auge um Auge, Feindesliebe, die linke Wange – eine harte Nuß das Evangelium nach dem 11.9.

Und da höre ich natürlich Ihre Einwände, es sind genauso meine eigenen, seien Sie außer Sorge: Was können wir schon tun? Ich habe niemandem etwas zuleide getan. Die gerechte Strafe muß kommen. Aber – es tut mir leid: Das Recht über Leben und Tod zu urteilen, liegt allein bei Gott. Seiner Gerechtigkeit, die nicht amerikanisch ist oder europäisch, nicht katholisch oder muslimisch, nicht historisch wandelbar, sondern ewig, Gottes Gerechtigkeit habe wir uns zu beugen, und keiner komme daher und rede von seiner Unschuld. So wie wir leben, das kostet andere das Leben. Unsere Einstellung, unser Selbstschutz, unser Selbstmitleid bringt anderen den Tod! Nicht daß ich einen Ausweg wüßte, der sich – mir nichts, Dir nichts – realisieren ließe. Aber die Arglosigkeit und Feigheit der Politiker quer durch alle Lager finde ich dennoch erschreckend. Wenigstens in manchen Punkten hat die Kirche es geschafft, kleine Akzente zu setzen; zu wenig sind es längst noch. Immerhin: Die Stimme des Papstes, unseres Bischofs, die Worte von Kardinal Lehmann bringen die geistliche Wirklichkeit der Kirche ins Spiel, das Evangelium der Gewaltlosigkeit wider alle menschlich eingefleischte Vernunft der Selbstverteidigung: Wahrhaft liebt, wer sein Leben hingibt für seine Freunde, sagt Jesus. Ist nur Präsident Bush unser Freund? Oder nicht doch mit gleichem Recht die alte Flüchtlingsfrau. Seltsam wie wir denken, wo doch Gott jeden Menschen mit gleicher Würde ausgestattet hat ...

Es ist im Grunde einfach zu sagen, was böse ist. Alles, was dem Leben in seiner Fülle entgegensteht, was verhindert, das Menschen besser leben, was andere ihrer Lebensmöglichkeiten beraubt: Rüstung, Wohlstand wo andere arm sind, Freiheitsberaubung aus weltanschaulichen oder religiösen Gründen – das ist böse. Dem etwas entgegen zu setzen, ist der Aufruf des Engels Michael, an unsere Gemeinde, die seinen Namen trägt, im Grunde jedoch die persönliche Herausforderung an jeden von uns, dem Bösen Widerstand zu leisten, zu aller erst in mir selber. Die Herrschaft Gottes, das Reich des geöffneten Himmels wird sich durchsetzen, daran besteht kein Zweifel. Die apokalyptischen Visionen des Daniel und des Sehers von Patmos in der geheimen Offenbarung werden Wirklichkeit werden, wenn diese Welt an ihr Ende kommt. Solange es nicht so weit ist, und kein Mensch kann vorhersagen, wann das sein wird, kein Engel hat das Datum festgelegt, solange müssen wir den Himmel aufreißen durch das Gute, das jedem Menschen in genau gleicher Weise zusteht – auch den Verirrten auf unserem Planeten, zu denen wohl die Taliban gehören, aber auch christliche und jüdische Fanatiker, die durch ihre egoistische Rechthaberei Gott längst vom Thron gestoßen und ihre eigenen Interessen statt dessen absolut gesetzt haben.

Ein Kirchenferner, ein Atheist (nach eigener Auskunft) sagte mir in dieser Woche sinngemäß: Die Kirche ist bald noch der letzte Raum, wo öffentlich um den Menschen gekämpft wird. Das mag wohl daran liegen, daß wir an einen glauben, der uns über ist. Amen.

 

 

 

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