Predigten

 
 

Bekenntnis zur Liebe

Ansprache über Joh 21,15-19 am Hochfest Peter und Paul
30.6.2002 in Tübingen und Bühl

 


Liebt denn einer, der sein Leben Gott versprochen, der Jesus seine Hände und Füße, sein Hirn und sein Herz anvertraut hat, nicht schon genug? Der Schluß des Johannesevangeliums erweckt den Eindruck, daß nicht! Wenn es danach geht, was dort sehr eindrücklich festgeschrieben steht, dann muß der Erste, der Bevorzugte, der Geliebte, der mit viel Einfluß, Ansehen und Kompetenzen Ausgestattete sich stets und unausweichlich die Infragestellung seiner eigenen Liebe gefallen lassen - gerade der!

Thomas, Dekan in Tübingen, liebst Du mich?
Gebhard, Bischof von Rottenburg, liebst du mich?
Johannes Paulus, Papst der römischen Kirche, liebst du mich? Liebst du mich? Liebst du mich?

Mir kommt das vor, wie eine unglaubliche Provokation. Und ich meine, wir können uns die Situation nicht drastisch genug vorstellen. Wie wäre das denn, wenn Ihnen jemand, liebe Schwestern und Brüder, den Sie gut genug kennen und umgekehrt, wenn der ganze gute Freund, die beste Freundin Ihnen seine/ihre Skepsis so unverhohlen entgegen halten würde? Die Grundlage für die gemeinsame Welt scheint zutiefst in Frage gestellt zu sein. Ein desillusionierender Vorgang!

Die Provokation hat aber schließlich noch eine Kehrseite, die sich direkt an mich selber richtet, die in mich eindringen will, so wie in Petrus: Liebe ich meinen Jesus tatsächlich? Liebe ich ihn in ausreichender Weise? Ist die Liebe der erste und wichtigste und entscheidende Antrieb für meinen Glauben?

Hartnäckig drei Mal wird an Petrus, den Ersten unter den Aposteln, den Jesus mit hoher Verantwortung betraut hat, diese Frage gestellt. Auf einmal gelangen andere Gründe in Betracht dafür, warum Jesus ihn ausgewählt hat? Das Vertrauen in seine Liebe gilt dann offenbar nicht mehr als der erste Beweggrund. Die Phantasie erschafft sich die Möglichkeit anderer Interessen, die dahinter stehen müssen; andere - nicht die Liebe: die Dickschädeligkeit des Petrus, sein Eifer, sein Durchsetzungsvermögen, seine Stärke?
Dabei möchte doch jeder aus Liebe berufen sein, das zu tun, was er tun soll: der Papst, der Bischof, der Pfarrer, der Kirchengemeinderat, der Mesner, die Pastoralassistentin, die Ordensfrau, die Mutter. Und als Christ: Tun wir da nicht alles, was wir tun, aus Liebe - zum Nächsten, zu Jesus, zu Gott?

Liebe Schwestern und Brüder, indem der Evangelist Johannes die Frage nach der Liebe des Petrus so pointiert an den Schluß seiner Frohbotschaft gesetzt hat, will er die Grundlage der ganzen Bewegung, die als junge Kirche im Entstehen begriffen ist, in Frage stellen, zumindest einer kritischen Prüfung unterziehen. Petrus als Fürst der Apostel wird nur stellvertretend auf den Prüfstand gestellt, in Stellvertretung für all die anderen Jünger, für die Gemeinden, die das Evangelium hören, damals wie heute. Es ist eine bedrängende Prüfung, der er unterzogen wird; eine, die ans Eingemachte der eigenen Person geht, die in ihrer Beharrlichkeit beinahe demütigend ist. Petrus muß die dreimalige Wiederholung der Frage als einen Mißtrauensbeweis verstehen; er muß traurig werden. Die Liebe scheint sehr, sehr wichtig zu sein! So wichtig, daß bei ihrer Überprüfung der Kern der ganzen Person erreicht werden muß - im übertragenen Sinne also der Kern der Kirche.

Damit sind wir bei einer sehr alten Unterscheidung, nämlich der zwischen einer Kirche des Rechts/der Gesetze oder einer Liebeskirche? Und wir sind im selben Augenblick bei der Realität dieser, unserer Kirche, in der wir leben und uns als Gemeinde bewegen. In ihr zeigt sich die häufig unversöhnte Polarität von Gesetz und Liebe nicht selten überdeutlich. Die allerdings nicht leicht und schon gar nicht hier und heute zu beantwortenden Alternativen stellen sich z.B. wie folgt:

* Eherecht <>Scheidung aus Liebe

* Zulassung zum Weiheamt <> Recht der Gemeinden auf die sonntägliche Eucharistie
* Vergabe von Kinderhausplätzen: nach Ansehen <> nach Not
* Einsatz für Familie Güler: Staatliches Recht <> Evangelium der Liebe
* Verkündigung von Gottes Wort, Zeugnis-Geben: Amt <>Charisma

Liebe Schwestern und Brüder, langsam dämmert mir - und hoffentlich auch Ihnen - die Berechtigung der Liebes-Frage Jesu. Es ist eine Liebe, die Johannes in seinen Schriften an verschiedenen Stellen betont hat als die wesensmäßig entscheidende Regung des Menschen im Verhältnis zu seinem Gott. Keine andere Weise der Verehrung, des Gottesdienstes sei angemessener als jene der Liebe. Wer Jesus liebt, der glaubt. Auf diese Kurzformel könnten wir die Theologie des Johannes bringen. Und Petrus, dem viel anvertraut wird, muß sich die Frage gefallen lassen: nicht nur einmal, sondern dreimal; nicht bloß einmal im Leben, sondern jeden Tag aufs neue. In Wirklichkeit jedoch verbirgt sich kein Mißtrauen dahinter, sondern die Sorge Jesu, seine Jünger, seine Kirche könnte auf falsche Wege geraten, um ihren Bestand zu sichern. Auf den Weg des Gesetzes oder der Macht, der allzu weltlichen Einflußnahme oder der materiellen Überzeugung. Wohin das führt, das hat Jesus im Laufe der Kirchengeschichte oft genug erleben müssen: Beispielsweise zu Ämterkauf in der Kirche, zur vordringlichen Sorge um das persönliche Seelenheil, zu egoistischen Einflußnahmen und dogmatischen Verhärtungen, auch zu moralischer Enge.

Und deshalb muß jeder, der zu Jesus gehören will, sich die Frage nach seiner Liebe gefallen lassen, häufiger und intensiver, je nach dem Maß an Nähe zu Gott, das andere an ihm ablesen. Für mich bedeutet das, im Grunde bei jeder zu treffenden Entscheidung in unserer Gemeinde zu überdenken, worin sich die Liebe zu Jesus am stärksten verwirklicht: in Kindergartenfragen, bei der Gottesdienstordnung, in der Leitungsverantwortung unserer Gruppen und Kreise …

Vielleicht, liebe Brüder und Schwestern, denken Sie jetzt noch immer, daß mit der Liebe leicht zu hantieren, aber schwer zu argumentieren sei, daß dieses Kriterium des Glaubens uns unter den Händen zerrinnt. Mag schon sein. Aber als bleibende Provokation an uns gerichtet, als tägliche Frage an die Umsetzung meines Glaubens könnte sie wenigstens eines bewirken: daß sich keiner aus seiner letzten Verantwortung Gott gegenüber stehlen kann, egal, was er sei, und wer er sei.
Amen.


 

 

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