Predigten

 
 

Das Wort des Kindes

Ein Plädoyer für den Feinsinn der Kommunikation Gottes
Ansprache zu Weihnachten über Lk 2 und Joh 1
24./25.12.2008 in St. Michael Tübingen und St. Pankratius Bühl (Thomas Steiger)


Es ist wie so oft im Glauben an Gott, daß wir es auch heute, an Weihnachten, mit einer paradoxen Situation zu tun haben. Die Evangelisten Lukas und Matthäus beschreiben das Kommen Gottes in die Welt als leibhafte Geburt: In Gestalt eines Säuglings versucht Gott die endgültige Ankunft in seiner Welt. Daß er es auf diesem Wege probiert, bedeutet etwas. Darauf komme ich später zurück. Johannes, der Evangelist, der etwas aus der Art schlägt, verschließt sich dem Bild des Kindes. Bei ihm wird Jesus von Johannes im Jordan getauft; seinen ersten Auftritt hat er bei der Hochzeit in Kana. Was davor liegt, also den Weg Gottes in unseren Raum der Erfahrung hinein, beschreibt er als ein sprachliches Ereignis. Gott kommt zu uns, er macht sich uns zugänglich, indem er uns anspricht. Das Wort Gottes ist das Weihnachtsgeschehen des Johannes. Auch das ist ohne Zweifel von aussagekräftiger Bedeutung, für das Verhältnis von Gott und Mensch, für meine Beziehung zu ihm, für das, was Glauben bedeutet.

Wir haben demnach als wesentliche biblische Zeugnisse für Weihnachten zwei Vorgänge: die Geburt des Kindes – die Anrede Gottes an seine Menschheit. Wie aber bringen wir beide zusammen? Die feste Überzeugung der theologischen Väter, die bis heute gültig ist, geht ja davon aus, daß nur und erst in der Betrachtung der Zusammenhänge die Wahrheit Gottes zumindest annäherungsweise ans Licht kommt. Wer verstehen will, was die Inkarnation, die Menschwerdung Gottes bedeutet, kann sich weder in die Romantik des Kindchenschemas flüchten, noch mit einem sprachphilosophischen Diskurs zufrieden geben. Bei der Entstehung des christlichen Erbes waren die Entscheidungsträger der festen Meinung, daß beide Verstehenswege richtig und erforderlich sind, ja, daß erst der gemeinsame Betrachtung, die Verbindung der beiden Weihnachtstexte sich einigermaßen der Wahrheit Gottes annähern würde.

Und damit haben wir eben ein Paradox, einen merkwürdigen Widerspruch. Oder kennen Sie ein Neugeborenes, das spricht? Jesus wird genauso wenig wie alle Menschgeborenen in der Lage gewesen sein, ein Wort zu sagen. Oder genauer formuliert: Er konnte nicht so sprechen, daß daraus ein für unsere Verhältnisse eindeutiger Inhalt abzuleiten gewesen wäre. Was allerdings nicht bedeutet, daß keine Kommunikation statt gefunden hätte. Im Gegenteil: Wenn wir Johannes und Lukas, das Wort und das Kind, zusammen zu denken versuchen, dann ist der Säugling im Viehstall von Betlehem genau das eine entscheidende Wort, das Gott seiner Menschheit zu sagen hat. In dem Jesusknaben sagt er uns alles, was wir brauchen – fürs Leben, fürs Sterben. Und daß er dies tut, ist der einzige Grund für unser Fest. Kein Wort ist so verläßlich, keines so machtvoll, aber auch keines so notwendig.

Was sagt uns also das Wort des Kindes? Erreicht es uns heute an Weihnachten? Vermag es Orientierung zu geben zur echten Wahrheit hin – im Großen der Welt, im Kleinen meines Lebens? Wenn wir uns dem annähern wollen, was Gott im Wort des Kindes uns sagt, dann wäre es angebracht dort zu suchen, wo unsere Kinder sprechen, und ich nehme die Jugendlichen ausdrücklich mit dazu, weil in ihnen das Kindliche sich immer noch zeigt, auch wenn sie es zu verbergen suchen, und manches Mal lieber nicht hören wollen. Hellhörig geworden für diesen Zugang bin ich durch Papst Benedikt, der in den zurück liegenden Tagen verschiedene Male den Wert des Sprechens von jungen Menschen betont hat. Bei einer Audienz vergangenen Samstag sagte er zu einer Gruppe von Kindern und Jugendlichen wörtlich: „Ja, liebe Jugendliche, ihr könnt den Herrn bitten, dass Er die Herzen der Waffenhersteller bewege, dass Er die Terroristen zum Umdenken führe, dass Er die Herzen der Kriegstreiber ändere und dass Er eine bessere Zukunft für alle Kinder auf der Welt ermögliche. Ich bin auch sicher, dass ihr Kinder für mich betet, und mich in meinem nicht einfachen Dienst des Herrn unterstützt.”

Ausdrücklich nimmt der Papst die Jugend in Schutz gegen den Vorwurf, sie sei ungezogen und niemals zufrieden. Ja, Schwestern und Brüder, wenn wir natürlich davon ausgehen, daß die Nachwachsenden sich mit allem einverstanden erklären, was die Altvorderen ihnen vorsetzen, dann können wir wohl nur mit negativen Bewertungen auf ihre Suche nach Glück und Sinn und Heil reagieren. Im Blick auf das Erbe, das wir ihnen hinterlassen, wäre das aber nicht weniger als vermessen. Eine in ihren Grundfesten erschütterte Gesellschaft zeigt uns die Finanzkrise dieser Tage. Die klimatischen Veränderungen weisen auf einen verheerenden Raubbau mit den uns anvertrauten Gütern der Natur hin. Was ein verbindliches Geländer an Werten und Prinzipien angeht, sind wir in Deutschland arg im Schwimmen. Hier klaffen die Worte und die Taten nicht selten meilenweit auseinander. Schutz des Lebens, Klimaoffensive, mehr Gerechtigkeit – das gehört zum Standardrepertoire aller politischen Parteien in unserem Land. Und wenn es darauf ankommt, das Konsequenzen zu ziehen sind, praktische Umstellungen, ganz konkrete Schritte der Umkehr in einer andere Richtung, dann verhindert das Kalkül der Mächtigen das dringend Notwendige. Dann sind auf einmal doch der Profit wichtiger und der wissenschaftliche Fortschritt und der eigene Wohlstand. Junge Menschen lassen sich das nicht gefallen. Zu Recht! Sie haben noch ein so hohes natürliches Empfinden von Richtig und Falsch, von Wahr und Verlogen, daß sie dem etwas entgegen setzen; mit Worten zumeist, denn was bleibt ihnen sonst; haben sie ja kaum Stimmrecht an den entscheidenden Stellen. Ich bin der festen Überzeugung, daß in ihrem moralischen Gespür sich nicht selten Gottes Wort an uns Ausdruck verleiht. Er will das Heil seiner Schöpfung. In seinem Wort gibt er uns Anweisung, nicht die Hände in den Schoß zu legen, nicht abzuwarten, sondern spontan zu handeln – aus Überzeugung, aus Begeisterung. Wir können also etwas von der Kommunikation unserer Jugend lernen: unverblümt-direkt, frech, nicht berechnend, ehrlich; den Finger in die Wunde legend, hartnäckig. Wenn Sie als Mutter oder Vater, als Lehrer oder Professor, als Politiker oder Trainer diese Erfahrung machen, wenn ich Sie als Pfarrer mache, dann ermahnt mich das Fest dieses Tages, mich dem zu stellen, mich nicht aus dem Staub zu machen. Gott spricht als Kind zu uns, das müssen wir uns merken. Und verstehen werden wir ihn nur dann, wenn wir seinen Stil pflegen.

Nun werden Sie denken: Aber es war doch ein Säugling, den Lukas als Heiland der Welt verkündet. Das ist wahr. Die Kommunikation Gottes mit uns beschränkt sich nicht auf das gesprochene Wort. Er sucht sich andere Wege. Und an die gemahnt uns das neugeborene Krippenkind. Es wird gelacht und geschrieen haben. Sein Auge hat unsicher auf denen geruht, die sich über es beugten. Hunger und Kälte bereiteten ihm Schmerzen, die Wärme seiner Mutter brachten Glück und Zufriedenheit. Den Kopf kann der Knabe noch nicht waagrecht halten, seine Arme rudern in der Luft, die Beine strampeln. Und doch ist bereits alles in ihm da, was einen Menschen ausmacht. Das Wort des Kindes ist da, auch wenn wir es nicht in eindeutige Sätze fassen können. Es sagt uns vielleicht: Gib Acht auf das Fundament Deines Lebens! Lerne das Staunen neu! Respektiere das Kleine, das Unscheinbare! Überhöre die leisen Töne nicht! Pflege eine sensible Form der Kommunikation! Denn das will Gott Dir in mir vormachen …
Nicht zuletzt aus diesem Grund hat mich die Kommunikationsstörung am Kepler-Gymnasium in unserer Stadt irritiert und nachdenklich gestimmt. Heranwachsende müssen sich auch an die Spielregeln halten. Keine Frage. Aber ihre Klage, ihre Kritik, ihre Wahrnehmung verdient es angehört zu werden. Sie gehört in den feinsinnigen Bereich von Hören und Schauen, von Sprechen und Erwidern – und nicht vor den Staatsanwalt.

Weihnachten ist ein zerbrechliches Fest, das sich in unseren Sprachfeldern spiegelt – gelungen, oder verfehlt. Wo dabei Schöpferisches entsteht, Heilsames und Gutes, da kommt Gott zur Welt. Weihnachten gibt uns Anlaß, über unser eigenes Sprechen nachzudenken, über die Formen der Verständigung, über die Kunst der Kommunikation. Beispiele wie den Konflikt am Kepi oder den ins gedankliche Nichts führenden Artikel von Peter Ertle im Tagblatt der vergangenen Woche, den ich nicht unwidersprochen stehen lassen konnte, gibt es mehr als genug. Nein, wir haben etwas zu sagen, weil Gott uns etwas gesagt hat. Es ist nicht egal, was wir mitteilen, welche Worte wir im Munde führen. Wir müssen wohl an vielen Stellen wieder neu zu sprechen lernen; allerdings eine andere Sprache, eine, die mit und ohne Worte uns berührt, die ehrlich und klar ist, deren Verständnis uns glücklich macht. Dazu ermutigt uns das Wort, das das Kind Jesus heute zu uns spricht. Amen.