Predigten

 

Predigt zum Ersten Weihnachtsfeiertag (Joh 1, 1-18) 25.12.2006 (Martin Günter)

Liebe Gemeinde,

auch wenn alle Schüler und Lehrer wohl eher froh sind, dass mit dem Weihnachtsfest nun endlich die Ferien begonnen haben, dennoch eine kleine Episode aus der Schule zu Beginn dieser Predigt:
Eine Gruppe angehender Erzieherinnen, die sich mit kindgerechtem Erzählen beschäftigte. Am Beispiel der biblischen Zachäusgeschichte untersuchten wir verschiedene Möglichkeiten ausschmückenden, interpretierenden Erzählens, wie es häufig in Kinderbibeln vorkommt. An der Stelle, als Jesus dem Zöllner Zachäus begegnet, schrieb ein Autor: "Und Jesus kam. Er kam die Straße herunter zu dem Baum, auf dem Zachäus saß. Jesus blieb stehen. Er sah hinauf zu ihm. Er suchte Zachäus mit seinen Augen. Gottes Augen suchten den Oberzöllner von Jericho." "Gottes Augen suchten den Oberzöllner von Jericho" - eine schöne, prägnante Formulierung - eine Deutung, die Kindern sofort klarmachen soll, wer dieser Jesus war... Plötzlich eine Wortmeldung: "Also das verstehe ich jetzt nicht" sagte eine Schülerin, "wieso Gottes Augen - Jesus hat doch den Zachäus angesehen?!" Zustimmendes Fragen kurz darauf auch bei weiteren Schülerinnen: "Genau, wieso Gott?"
Es folgte ein kleiner Exkurs über die Bedeutung der Person Jesu Christi, über Gottessohnschaft, über das "gezeugt, nicht geschaffen" des großen Glaubensbekenntnisses, über die Menschwerdung Gottes als Fundament und Besonderheit unseres christlichen Glaubens. Erstaunte Gesichter - so war das vielen bisher nicht bewußt...

Sie sehen: Man kann an einem beliebigen Schulvormittag ganz unerwartet bei Weihnachten ankommen; und Sie merken: So populär das Weihnachtsfest auch ist - seine eigentliche Botschaft ist es nicht!

Wie gut, dass sie uns alle Jahre wieder verkündet wird - eine Botschaft, die unsere Sichtweise von Mensch und Welt verwandeln kann. Der Evangelist Johannes will sie uns in seinem Prolog nicht als Erzählung, sondern denkerisch, ihre Bedeutung meditierend nahebringen - in Bildern vom Wort, vom Leben, von Licht und Finsternis: "Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott... In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht leuchtet in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht erfasst... Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt. Er war in der Welt, und die Welt ist durch ihn geworden, aber die Welt erkannte ihn nicht... Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt, und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit"... Sätze, randvoll mit Bedeutung, hohe Theologie; beim Hören können wir spüren, wie Johannes um Worte ringt, das Wesentliche zu erfassen, den tiefsten Kern der Weihnachtsbotschaft auszusagen: Das Geheimnis der Menschwerdung Gottes. Gott hält sich nicht heraus; er, der Schöpfer, überlässt seine Schöpfung nicht sich selbst, überlässt Welt und Mensch nicht einem blinden Schicksal - er selbst begibt sich in sie hinein, in seinem Sohn Jesus Christus; in ihm wird er ein Mensch wie wir.

Solches von Gott zu glauben, war damals im ersten Jahrhundert unerhört und einmalig. Wohl deshalb stellte Johannes diese Grundaussage seines Glaubens - einer Ouverture gleich - ganz an den Anfang seines Evangeliums. Doch solches von Gott zu glauben, ist auch heute noch einmalig: Denn das ist es, was uns Christen von allen anderen Religionen unterscheidet: Unser Glaube an die Menschwerdung Gottes! Wir glauben, dass Gott nicht von oben herab wirkt, nicht über unsere Köpfe hinweg, sondern als Mensch unter uns, durch uns, mit uns. Gottes Weg ist der Mensch. Und dieser Glaube hat Konsequenzen - er verändert die Sichtweise, mit der wir unsere Welt, unser Leben, uns selbst wahrnehmen.

Gottes Weg ist der Mensch. Wenn Gott selbst Mensch geworden ist und Menschen in seine Nachfolge beruft, dann ist unsere Lebenswelt der Ort, an dem Wesentliches geschieht. Das, worauf es ankommt, ereignet sich nicht in einem fernen Jenseits, nicht erst in einem zukünftigen Leben - sondern in diesem Leben, im Hier und Jetzt. Gottes Menschwerdung zeigt die Wertschätzung, die er für das Diesseits, für unsere Lebenswelt hat: Für unseren Alltag, für unsere Beziehungen, für unser gesellschaftliches Zusammenleben, für die Völkergemeinschaft weltweit. Gottes Menschwerdung zeigt die Bedeutung, die unser Leben in Zeit und Raum vor ihm hat; und Gottes Menschwerdung zeigt die Verantwortung, die wir für uns selbst, für andere, für unser Miteinander - für die Welt als ganze haben. Als Christen dürfen wir uns nicht auf das Jenseits vertrösten lassen, auch wenn wir auf ein Jenseits hoffen. Die Welt, wie sie ist, ist keine unbedeutende Vorstufe; sie ist kein Ort des rein Weltlichen oder gar des Bösen, von dem es sich fernzuhalten oder zu entfliehen gälte. Was hier und jetzt geschieht, geschieht vor Gott; was hier und jetzt geschieht, hat Bedeutung. Gottes Weg ist nicht die Flucht in eine andere Welt. Gottes Weg ist der Mensch in seiner jeweiligen Gegenwart.

Und was von unserer Welt gilt, gilt auch vom Menschen selbst. Seit Gott menschliche Gestalt annahm, können wir ihm in jedem Menschen begegnen; und seit Gott menschliche Gestalt annahm, hat jedes menschliche Leben unbedingte Würde. "Gott hat sich zu dem gemacht, was wir sind, damit wir würden, was er ist" - so formulierte der Kirchenvater Irenäus von Lyon die Weihnachtsbotschaft. Durch seine Menschwerdung hat Gott uns eine Würde gegeben, die wir nicht mehr verlieren können - eine Würde, die jedem menschlichen Leben zukommt, egal, ob gesund oder krank, ob reich oder arm, mächtig oder ohnmächtig, gleich welcher Nationalität, Kultur oder Religion. Die Würde des Menschen ist unantastbar - eben weil sie nicht nur auf menschlichen Absprachen und kündbaren Veträgen beruht. Die Würde des Menschen ist unantastbar, eben weil sie kein Menschenwerk ist und sich unserem Zugriff entzieht. Die Aktualität für unsere Gegenwart liegt auf der Hand: Wo immer über den Beginn und das Ende menschlichen Lebens diskutiert wird; wo Grenzen der Gentechnik und des wissenschaftlich Machbaren erörtert werden; wo die Erlaubheit der Folter in Ausnahmefällen wieder erwogen wird; wo armen Menschen in unserer Gesellschaft zugemutet wird, mit 365 Euro monatlich zurechtzukommen; wo Frauen und Männer um der Steigerung des Profits und der Aktiendividenden willen entlassen werden; wo illegal Eingereiste wie Sklaven ausgebeutet werden - überall da ist es wichtig, die Menschwerdung Gottes im Blick zu behalten, denn sie verändert unsere Sichtweise des Menschen. Gottes Weg ist der Mensch.

Und das gilt schließlich auch für jede und jeden von uns. Gottes Weg ist der Mensch - Gottes Weg sind Sie, bist Du, bin ich. Weihnachten ist die Zusage, dass für Gott jede und jeder von uns wichtig ist - keiner ist vor ihm unbedeutend, kein Beitrag zu klein. Auch wenn wir uns manchmal klein fühlen, wie Rädchen im Getriebe, oder nutzlos, weil wir manches nicht so können, wie wir es gerne wollten; auch wenn wir im Vergleich mit anderen nicht mithalten können; auch wenn wir alt, krank oder arbeitslos sind - im Maßstab Gottes ist es ganz anders. Er braucht uns so, wie wir sind - in der Situation, in der wir leben, mit dem, was wir fertigbringen, ob groß oder klein. "Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden"... Das leben, was wir vom Evangelium verstanden haben; das tun, was uns möglich ist, nicht mehr, aber auch nicht weniger - dazu sind wir berufen. Gottes Weg ist der Mensch. Mit uns erbaut er sein Reich hier auf Erden; durch uns will er die Welt nach seinem Willen gestalten.

Wo wir uns ihm öffnen, geht Weihnachten weiter; wo wir unserer Berufung folgen, uns von ihm in Dienst nehmen lassen, wird er immer wieder neu zur Welt kommen, wird sich seine Menschwerdung neu ereignen. Denn Gottes Weg sind wir Menschen.
Amen.


Fürbitten zum Ersten Weihnachtsfeiertag 2006

Gott, unser Vater, durch Deine Menschwerdung hast Du uns unbedingte Würde verliehen.
Wir bitten Dich:

Ermutige alle, die die Weihnachtsbotschaft hören, daß sie das Licht der Hoffnung weitertragen zu den Menschen, die nach dem Sinn ihres Lebens suchen.


Stärke alle, die sich um Schritte des Friedens und der Versöhnung bemühen, und schenke ihrem Tun Erfolg.


Tröste alle, deren Würde mißachtet wird, durch Deine Nähe und laß sie Menschen finden, die ihnen beistehen.


Sei besonders denen nahe, die heute ihre Sehnsüchte schmerzlich erleben: Trauernden und Einsamen, Armen und Verzweifelten, Kranken und ihren Angehörigen.


Laß uns das Geheimnis Deiner Menschwerdung mit Herz und Verstand immer tiefer erfahren, damit auch wir unserer Berufung folgen.


Gott, unser Vater, Dein Weg ist der Mensch. Dafür danken wir Dir, heute und alle Tage. Amen.


Einführung:

Die Gefühlswelt der Heiligen Nacht liegt hinter uns und wir feiern Weihnachten im Licht des neuen Tages. Weihnachten geht weiter - es will auch über die Feiertage hinaus weitergehen, hinein in unseren Alltag. Deshalb ist es gut, dass uns heute der Evangelist Johannes die Weihnachtsbotschaft in seinen Worten erzählt - Worte, die weniger unser Gefühl, sondern eher unseren Verstand ansprechen; Worte, Bilder, mit denen er uns die Botschaft von Weihnachten denkerisch erschließen will - die Botschaft von der Menschwerdung Gottes.
Öffnen wir unsere Sinne, unseren Verstand und unser Herz, damit der zur Welt gekommene Gott auch in uns Mensch werden kann.

 


 

 

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