Predigten

 

Predigt am Kirchweihfest in St. Michael (4.11.2001)

Schrifttexte: 1. Lesung: Jes 56, 1.6-7
2. Lesung: 1 Kor 3, 9c-11, 16-17
Evangelium: Lk 19, 1-10

Einführung

Im heutigen Evangelium spricht Jesus eine Einladung aus, eine Einladung für sich selber. Denn er ruft den Zöllner Zachäus vom Baum und teilt ihm mit, dass er heute sein Gast sein muß. Ähnlich wie dem Zachäus geht es auch uns gerade. Jesus hat gerufen. Allerdings sind die Rollen gerade vertauscht. Jesus lädt uns zu sich ein, er will jetzt unser Gastgeber sein. Und wir alle sind seinem Ruf gefolgt und haben uns hier versammelt. So wie es nun schon eine ganze Generation vor uns getan hat. Denn vor 52 Jahren wurde dieses Gotteshaus geweiht.

An diesen großen Tag wollen wir heute denken und auch an die Menschen, die in diesen 52 Jahren hier miteinander gelebt, geglaubt und gebetet haben.
An einen von diesen ganz besonders: Dekan Hugo Rathgeb, der heute vor 12 Jahren in die Ewigkeit des Herrn gerufen wurde. Eine schöne Verbindung, war er doch immerhin damals am Kirchweihfest Pfarrer hier in St. Michael.

Vieles verbindet uns heute mit den Menschen, die sich damals zum ersten Mal hier versammelt haben. Vor allem das eine: Ebenso wie sie sind wir der Einladung Jesu gefolgt. Doch kommen auch wir nicht mit leeren Händen hierher. Wir haben alles mitgebracht, was wir in der vergangenen Woche erlebt haben. Wir haben unsere Freuden, aber auch unsere Sorgen mitgebracht.

Nehmen wir uns zu Beginn dieser Feier einige Augenblicke der Stille Zeit und überlegen uns, was jeder persönlich hierher mitbringt und was er oder sie vielleicht einfach loslassen, abgeben , abschütteln möchte, um nun ganz hier sein zu können, mit Kopf und Herz, und um so Jesu Einladung ganz zu folgen. Und begrüßen wir dann Jesus Christus als unseren Gastgeber in unserer Mitte.

Predigt

Eine olle Kamelle - als solche könnte man die Erzählung vom Zöllner Zachäus wohl bezeichnen. Es ist eine Geschichte, die man in vielen Zusammenhängen zu hören bekommt und bestimmt haben auch viele von ihnen sie schon einmal gehört.

Und doch ist sie immer wieder schön, denn sie macht uns auf sehr einfache Weise deutlich, wie Jesus mit Menschen umgeht. Denn er sieht nicht auf die Person. Er ruft den Zachäus vom Baum und lädt sich bei ihm ein. Ein anderes Mal läßt er sich von der Sünderin berühren und schickt sie nicht einfach weg. Und er nimmt schließlich einen Samariter als gelungenes Beispiel für vorbildliches Handeln.

Jesus sucht die Gemeinschaft zu Menschen, egal welchen Ruf sie haben, egal, wie es um ihre moralische Einstellung bestellt ist. Er ruft bedingungslos alle Menschen, weil er allen Menschen das Heil bringen will. Und er traut jedem Menschen zu jedem Zeitpunkt eine Änderung des eigenen Lebens zu.

Dass er damit aber nicht immer Erfolg hat, diese schmerzliche Erfahrung mußte auch Jesus machen. Beim reichen Jüngling, bzw. bei Lukas heißt er der reiche Ratsherr, läuft die Sache nicht so rund. Davon erzählt uns Lukas kurz vor der Episode mit Zachäus. Der reiche Mann will zwar wissen, wie man das ewige Leben erlangt, kann die Konsequenzen dann aber nicht tragen, als es darum geht, nicht nur strikt die Gebote zu halten, sondern darüber hinaus auch noch seinen Besitz abzugeben und Jesus nachzufolgen. Er will sich - zumindest zu diesem Zeitpunkt - nicht von seinem Besitz trennen. Am Ende geht er traurig weg.

Ganz im Gegensatz zu Zachäus. Er bewirtet Jesus nicht nur einfach, sondern er läßt sich ganz, mit seiner ganzen Person auf dessen Frohe Botschaft ein und spürt, dass es nicht nur bei dieser Begegnung bleiben soll. Er will versuchen, das was er durch die Begegnung mit Jesus erlebt hat, in seinem weiteren Leben fortzuführen. Er will sein Leben verändern, und zwar heute. Er spürt die Besonderheit des Augenblicks und will ihn nicht ungenutzt verstreichen lassen. Ob ihm sein Vorhaben allerdings gelingt, davon erzählt uns Lk nichts, nur die Vorsätze des Zachäus teilt er uns mit. Vielleicht ist Lk das aber gar nicht wichtig, sondern er will eben vor allem auf die Initialzündung hinweisen, die die Begegnung mit Jesus bei Zachäus ausgelöst hat.

Wie auch immer, auf alle Fälle zeigt sich in dieser schönen Geschichte, dass durch die Begegnung mit Jesus Neues erwachsen kann, vorher nicht Geahntes oder Gehofftes - oder glauben Sie, einer der Menschen, die plötzlich von Zachäus Geld zurückbekommt, ist darüber nicht erstaunt?

Die Begegnung mit Jesus eröffnet Neues, sie macht Heil erfahrbar, sie macht eine neue Gemeinschaft unter den Menschen möglich, jenseits aller moralischen Schranken.
Und wo dieses Heil, dieses neue Zusammenleben spürbar wird, da ereignet sich für mich Kirche. Kirche, die offen ist für alle Menschen, die alle teilhaben läßt, die eine lebendige Gemeinschaft ist und kein festgemauertes Bauwerk, sondern ein Kunstwerk aus vielen verschiedenen, lebendigen und bunten Bausteinen.

Und weil wir alle, jede und jeder einzelne von uns, solch ein lebendiger Baustein sind oder - wie es der Apostel Paulus ausdrückt - ein Tempel Gottes, deshalb haben wir allen Grund Kirchweih zu feiern. Mir geht es dabei nur am Rande um dieses konkrete Gebäude, das steinerne Haus, das da vor 52 Jahren geweiht wurde. Viel mehr denke ich an die Menschen, die durch dieses Gebäude die Möglichkeit bekamen und auch heute immer noch bekommen, sich hier zu versammeln, die hier ein geistiges Zentrum haben.

Und ich denke an die Menschen, die hier auch unter der Woche allein herkommen und versuchen in der Stille, Gottes Wort für ihr Leben zu erkennen. Ich denke eben an all die Menschen, die versuchen, nach Jesu Botschaft zu leben und immer neu, Gottes Heil , d.h. sein Angebot für geglücktes Leben in dieser Welt spürbar zu machen - hier und heute in Tübingen.
Beispiele dafür kann man in St. Michael wohl viele finden - da ist etwa der neue Familienausschuß, der durch seine Arbeit versucht, Familien - ganz egal in welcher Zusammensetzung, ob die normale herkömmliche Familie, oder die sogenannten Patchwork-Familien, also Ehepaare mit gemeinsamen Kindern aber auch mit Kindern aus früheren Beziehungen; egal ob Alleinerziehende oder Familien, die ohne Trauschein zusammenleben, egal ob kinderlose Paare, die sich aber um die eigenen Eltern kümmern - ganz egal in welchen Konstellationen, der Familienausschuß möchte ihnen allen in St. Michael eine Anlaufstelle anbieten, wo sie mit ihren Nöten und Anliegen ernstgenommen werden und wo sie einen Platz zum Austausch haben.

Ein anderes Beispiel kann der Club St. Michael sein, wo ältere Menschen Gelegenheit haben, sich über ihr Leben, ihre Sorgen und auch ihren Glauben auszutauschen.
Oder die Firmvorbereitung, in der wir Katechetinnen und Katecheten versuchen, den Jugendlichen ein Bild von Kirche zu vermitteln, in der auch sie einen Platz haben, mit all ihren Sehnsüchten und Zweifeln und in der sie Gott erfahren können.

Ich denke, alle Gruppen, die hier in der Gemeinde aktiv sind, aber auch alle Menschen, die nur das Bedürfnis haben, am Sonntag in den Gottesdienst zu kommen ohne engere Anbindung an die Gemeinde, sie alle tragen dazu bei, dass diese Gemeinde eben kein leeres Gebäude ist, sondern ein lebendiger Ort, an dem viele Menschen mit verschiedenen Anliegen einen Platz finden.

Und insofern haben wir meiner Meinung allen Grund, heute eher uns selber zu feiern, denn ohne eine lebendige Gemeinde wäre auch dieses Gebäude nutzlos. Gottes Geist weht hier ja nicht einfach nur, weil sich auf dem Dach des Hauses ein Kreuz befindet. Er weht hier und an vielen anderen Orten genauso, weil Menschen auch heute noch versuchen, das weiterzuleben, was Jesus ihnen -beispielhaft in der Geschichte vom Zöllner Zachäus dargestellt - was er ihnen vorgelebt hat.

Denn dort, wo Menschen die Frohe Botschaft von Gottes anbrechendem Reich weitersagen, dort wo es offene Türen gibt für alle Menschen ohne Unterschied, dort wo der Mensch mit seiner Sehnsucht Jesus zu sehen im Vordergrund steht ohne irgendeine moralische Mindestanforderung, dort wo alle Menschen zum Mahl um einen Tisch eingeladen werden, dort wird Gemeinschaft unter den Menschen möglich, dort kann man dieses Reich Gottes anfanghaft erspüren. Und dort kann Neues entstehen, das vorher nicht zu träumen gewagt wurde.

Und dort steht dann auch die Kirche - das Gebäude und die Gemeinde - auf dem einzig tragenden Fundament: auf Jesus Christus, der zu allen Menschen gekommen ist und für alle Menschen das Heil bringen wollte.
Amen


 

 

Kirch am Eck
Predigten
Religiöse Fragen
Texte
Aktuelle Infos
Menschen in Not und Leid
Asylarbeit
Kirchenasyl
Gerechtigkeit, Friede und Bewahrung der Schöpfung
Für Sie gelesen
Humor
Französisches Viertel
Christlich-islamischer
Dialog
Die Seite für Ausländer
Links
Chat
 Wir über uns

 

Webmaster