Predigten

 

Predigt am Palmsonntag 2006 anlässlich der ökumenischen "Palmprozession" in der Südstadt (Harry Wassmann)

Predigt: Jes 50,4-9 (Eberhardskirche 9.4.06)

Gott erwecke in uns allen seinen Geist der Liebe!

Liebe Gemeinde,
wir haben gehört - was für ein Empfang das in Jerusalem war! Wie sehnsüchtig Jesus erwartet wird, was für ein Jubel allen denen entgegen schlägt, die mit ihm ziehen. "Hosianna dem Sohn Davids." Der Helfer ist da! Jetzt wird alles anders - besser, gerechter, friedlicher.
Doch wir wissen, es folgen Tage mit großen Enttäuschungen,
wo diese großen Hoffnungen und Erwartungen zerplatzen. Für Jesus, für seine Freundinnen und Freunde - und für alle, die auf ihn gehofft haben: im Stich gelassen von so vielen, verleugnet unter Petrus,
verraten unter Judas, gekreuzigt unter Pontius Pilatus.

Liebe Schwestern und Brüder in Christus!
Wie kann ich weiter hoffen, wenn ich verletzt, gedemütigt, enttäuscht worden bin ? Wie kann ich weiter gehen, wenn man ich mich nicht durchsetzen kann?

Ich denke an die Postler und Bahnler - die jahrzehntelang treu ihren Dienst getan haben und noch tun - für einen angemessenen Lohn - und davon gibt es nicht zu wenig in unserem Stadtteil - und nun müssen sie hören: Das war und ist alles unrentabel und verlustreich, man muss Mitarbeiter entlassen, die Gewinne steigern, damit der Betrieb börsenfähig werden kann. Das tut weh...!
Ich denke an die deutschen Spätaussiedler aus der ehemaligen Sowietunion. Sie und ihre Familien, die dafür bestraft wurden, dass hier bei uns die Nazis den Krieg angezettelt haben. Sie wurden für ihre Abstammung und ihren Glauben verschleppt, gedemütigt und bestraft. Ich habe unlängst ein böses Wort auf dem Sternplatz aufgeschnappt: "Die Russen kommen hier her und bekommen 50.000 € geschenkt - und wir...?"
Wie das alles durchstehen und dann in der Heimat solchen bösen Lügen ausgesetzt sein...?
Und ich denke an Familien, die in diesen Tagen vor Ostern ihren Kindern und Geschwistern ins Grab sehen müssen.
Wie weiter hoffen, wie weiter leben, wie weiter auf Gott vertrauen?

Jesus ist seinen Weg im Vertrauen auf seinen Vater im Himmel weitergegangen - bis ans Kreuz. Als Zeuge Gottes, als Zeuge der Liebe und der Versöhnung. Ganz gleich wie ihn Menschen enttäuscht und gedemütigt haben: "Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun! In Deine Hände befehle ich meinen Geist."

Die ersten Christen haben in Jesus den Knecht Gottes, - wörtlich übersetzt "den Arbeiter Gottes", - aus dem Buch Jesaja wieder erkannt, der Israel und allen Völkern verheißen ist.
Wir hören heute auf eines seiner Lieder, man könnte eben auch sagen "auf das Arbeitergotteslied" aus Jesaja 50, aus dem Trostbuch der Erlösung:

4 Gott der HERR hat mir eine Zunge gegeben, wie sie Jünger haben,
dass ich wisse, mit den Müden zu rechter Zeit zu reden.
Alle Morgen weckt er mir das Ohr, dass ich höre, wie Jünger hören.
5 Gott der HERR hat mir das Ohr geöffnet.
Und ich bin nicht ungehorsam und weiche nicht zurück.
6 Ich bot meinen Rücken dar denen, die mich schlugen,
und meine Wangen denen, die mich rauften.
Mein Angesicht verbarg ich nicht vor Schmach und Speichel.
7 Aber Gott der HERR hilft mir, darum werde ich nicht zu Schanden.
Darum hab ich mein Angesicht hart gemacht wie einen Kieselstein; denn: ich weiß, dass ich nicht zu schanden werde.
8 Er ist nahe, der mich gerecht spricht; wer will mit mir rechten?
Lasst uns zusammen vortreten!
Wer will mein Recht anfechten? Der komme her zu mir!

9 Siehe, Gott der HERR hilft mir; wer will mich verdammen?
Siehe, sie alle werden wie Kleider zerfallen, die die Motten fressen.

Können wir das glauben? Dauerhaft? : "Gottes Recht und Gerechtigkeit haben Bestand?" Können Geknickte und Gekrümmte, Missachtete und Verspottete darauf hoffen?

Gott der Herr - Er weckt mich alle Morgen,
Wenn alles wankt - ist das die Quelle des Glaubens, der Kern der Beharrlichkeit, der Festigkeit auch - ist das der Boden unter den Füßen: Er weckt mir das Ohr. Gott schenkt mir mein Leben.
ER allein. Gott gibt mir eine Zunge, gibt mir Worte, mit den Müden - den Lebensmüden - zu reden zu rechter Zeit.
Ich bin nicht ungehorsam. Ich höre. Ich höre auf Gottes Stimme.
Daraus kommt das trotzige Bekenntnis: Ich weiche nicht zurück.
Ich bleibe bei dem, was mir wert und teuer ist.
Ich hänge meinen Glauben nicht an den Nagel.
Ich gebe nicht klein bei.

Liebe Gemeinde,
wir Christen sehen im Leidensweg von Jesus oft nur den, der sich alles bieten und alles gefallen lässt, mit dem man schwäbisch gesagt "Hugoles machen kann". Aber ist Jesus in allen Demütigungen wirklich nur passiv? Oder steckt in diesem Sich-Aussetzen nicht auch Festigkeit, Beharrlichkeit, Widerstand, Resistance?

Haben wir Jesus vor Augen haben, können wir diesen Worten gut nachspüren: Ich weiche nicht zurück. Ich lasse mich nicht verbiegen. Ich spiele euer Spiel von Macht und Gegenmacht nicht mit.
Vom Hohen Rat über Pontius Pilatus zu Herodes und zurück.
Ich schere aus. Ich werde darüber nicht weich, sondern, wie es heißt, ich werde "hart wie ein Kieselstein". Nicht verhärtet gegen andere, sondern hart und beständig in meinem Personenkern, getragen von dem Vertrauen: Da ist etwas nicht zu erweichendes: "Mich lässt Gott nicht im Stich."
Ich verstecke mich nicht. Ich biete sogar meine Angriffsfläche: meinen Rücken, meine Wangen, mein Angesicht. Die Ernte können Schläge sein, Schmach und Spucke, Verspottung. Was mich aber trägt und hält ist und bleibt dies: Gott weckt mir das Ohr. Er ist der erste, der mich Tag für Tag begrüßt, ins Leben ruft. Er gibt mir die innere Stärke: "Gott ist nahe, ich bin im Recht." Ich bin auf dem Weg seiner Gerechtigkeit.

Wie viel kann ein Mensch an Demütigungen und an Schmerzen ertragen? Das ist verschieden. Aber es gibt eine Kraft, einen Glauben, der widersteht. Ich weiß, dass ich nicht zu schanden werde.
Hier - l. Gde., ist der Angelpunkt des inneren Widersetzens.
Wir dachten beim Bibelabend dabei an Dietrich Bonhoeffer, der heute vor 61 Jahren von Nazis ermordet wurde. Und an den Christen Rahman in Afghanistan, der durch seinen Glauben Todesängste durchleiden musste, aber nun in Rom in Freiheit leben kann.

Gegen alle Entmutigungen - die wir kennen - hören wir aus dem Mund des gedemütigten Knecht Gottes: "Siehe, Gott der Herr hilft mir (= "Hosianna"), wer will mich verdammen?" Was so viel heißt wie: Wenn Gott auf meiner Seite ist - und ich bei seinem Recht bleibe: ? Wer will mich unterdrücken, runterputzen, verurteilen, verachten, klein machen ?

Im Gegenteil: Es könnte ja sein, dass das, was ich so gewalttätig und kräftig und mächtig aufspielt, einst zerfällt wie kleine Lebewesen Kleider zerfressen: Siehe, sie alle werden wie Kleider zerfallen, die die Motten fressen. Was so großmächtig daherkommt - was sich für ewig gültig erklärt - verschwindet. In diesem Glauben ist Jesus weitergegangen - und am dritten Tage nach der Hinrichtung auf Golgatha auferweckt worden. In diesem Glauben ist Bonhoeffer weitergegangen - vier Wochen nach seiner Ermordung ist das Nazi-Reich zusammengebrochen. Auch unsere Brüder und Schwestern aus der ehemaligen Sovietunion sind im Vertrauen auf Gott weiter gegangen - und die böse Bedrückung ist in sich zusammengebrochen.

Warum Jesus weiter hoffen konnte?
Warum Bonhoeffer von tiefem Glauben erfüllt war - bis zuletzt?
Warum die deutschen Spätaussiedler ihren Glauben bewahrt haben?
Warum wir nicht sagen brauchen, das war´s dann?

Weil der Gott, der Himmel und Erde geschaffen hat, dem Chaos und den Todesmächten nicht das letzte Wort lässt. Auch wenn es noch so düster aussieht. Christus ist auferstanden - Gott hat ihn dem Tode nicht preisgegeben. Wir können in der Trauer und der Enttäuschung daraus Hoffnung schöpfen: Es ist nicht aus. Gott ist nahe, der mich gerecht spricht; Wer will mit mir rechten? Lasst uns zusammen vortreten!

Zusammen vortreten - als Zeugen der Hoffnung - das ist unsere Antwort auf Gottes Treue: wenn es um die Gerechtigkeit in unserem Land geht, wenn es um das gerechte Verteilen von Lebenschancen geht - in der Schule, im Erwerbsleben, in der Medizin. Wir müssen uns nicht vor dem Scheitern fürchten: Gottes Liebe vertreibt Angst.
Wir können auch dann noch weitergehen, wenn wir denken, "Es geht doch alles den Bach raa. Die Schule, die Umwelt, die Liebe und das soziale Miteinander". Dennoch: Gottes Gerechtigkeit hat Bestand !
Er ist bei uns alle Tage - die hellen und auch die dunklen - bis ans Ende der Welt.

Amen


 

 

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