Fragen und Antworten

 

 

 

 

Am 14. Juni 2009 schrieb uns Herr B..Z.:


Eine Frage: Ist Gottesliebe ein Paradox?

Guten Tag,
ich hätte da mal eine Frage:

In Lukas 10 Vers 27 sprach Jesus:
"Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und vom ganzen Gemüt, und deinen Nächsten wie dich selbst"
Schlussfolgerung =>Es ist eine Sünde wenn man Gott nicht von ganzem Herzen liebt.

Meiner Ansicht nach kann wahrhafte und aufrichtige Liebe nur aus/in Freiheit und nicht aus/durch Zwang entstehen.
Meinchmal habe ich das Gefühl, da wir ja alle als Menschen vor Gott Sünder geboren sind, wir von Gott gezwungen/erpresst würden nach dem Motto:
Entweder du liebst mich bedingungslos oder du fährst zur Hölle.

Wenn dem tatsächlich so wäre, könnte man ihn garnicht aufrichtig lieben, da man ja gezwungen wird. Und wenn man ihn nicht aufrichtig Lieben kann bleibt man ein Sünder.

Ich glaube das Gott uns über Jesus durch den Heiligen Geist retten will, aber das obengenannte Paradox lässt mir einfach keine Ruhe. Ich grüble schon etwas länger daran, bitte helft mir es aufzulösen.

Schon mal im vorraus, vielen Dank für eure Mühen.

Mit freundlichen Grüßen

B. Z.


Unsere Antwort:

ILieber Herr B. Z. !

Vielen Dank für Ihre Mail und Ihre interessante "Frage" - Sie haben nach dem Zitat des Textausschnitts von Lk 10,27 eine sehr schnelle Schlussfolgerung gezogen. Leider können wir in diesem Tempo nicht antworten. Vielleicht ist uns auch Ihre Frage nicht ganz klar geworden. Nun müssen Sie dafür beim Lesen unserer Antwort ein wenig Geduld haben. Aber Sie bitten ja um Hilfe.

Sehen wir uns zunächst das Zitat in einem größeren Zusammenhang an. Wir haben bei unserer Stelle die mehrfach berichtete Situation, dass ein Toralehrer, ein Schriftgelehrter, Jesus auf die Probe stellen will. "Ich hätte da mal eine Frage..." Man will ja sehen, wie gut sich dieser Wundermann und Prediger, von dem alle reden, in einem Streitgespräch aus der Affäre zieht. Vielleicht will der Fragende auch in der Öffentlichkeit zeigen, wie beschlagen er ist. Denn Zuhörer waren in solchen Situationen immer genug da. Und solche Diskussionen machen vielleicht auch Spass.

Im Übrigen wird diese Geschichte bei Markus und Matthäus auch erzählt. Die Gespräche beginnen meist ziemlich ähnlich und haben ein ähnliches Ziel: Was ist der Kern, die Quintessenz deiner Botschaft, was ist für dich das wichtigste Gebot, was müssen wir tun, um in den Himmel zu kommen. Und Jesus antwortet immer, wie jeder Jude damals wie jetzt geantwortet hätte, nämlich mit den einschlägigen Zitaten aus der Tora, wo es um Gottes- und Nächstenliebe geht. Das erste Zitat zur Gottesliebe betet jeder Jude zweimal täglich, das Sch'ma Israel (Höre, Israel) in Dtn 6,4: "Darum sollst du den Ewigen, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft. ...". Das Sch'ma Israel ist ein Lobpreis und Dank an Gott, der die Erde erschaffen hat und sein Volk aus Ägypten befreit hat: "Du bist der Anfang und du bist das Ende. Und außer dir gibt es für uns nichts, dass uns erlösen und uns helfen kann. Fels Israels, erhebe dich, um Israel zu helfen! Unser Erlöser, der alle Kreatur versorgt, Heiliger Israels, das ist sein Name. Gepriesen seist du, Ewiger. Du erlöst Israel." - Die Nächstenliebe zitiert Jesus aus dem Buch Levitikus, wo es um die sozialen Gebote geht: "An den Kindern deines Volkes sollst du dich nicht rächen und ihnen nichts nachtragen. Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Ich bin der Herr." (Lev 19,18).
Jesu verbindet die beiden Zitate in Lk 10, 27 zu einem Satz. Das ist kein Zufall, denn zu dieser Zeit haben die jüdischen Thoralehrer in der Verbindung von Gottes- und Nächstenliebe die Summe der jüdischen Religion gesehen. Es wäre also unzulässig, bei der Interpretation dieses Jesuswortes die Gottesliebe von der Nächstenliebe abzutrennen. Die daraus gezogenen Schlussfolgerungen wären falsch.
Aber in dem zweiten Teil des Zitats steckt noch mehr: "Deinen Nächsten lieben wie dich selbst" ist eine Variante der "Goldenen Regel". Behandle andere Menschen so, wie du auch behandelt werden willst. Oder: Was du nicht willst, dass man dir tut, das füge auch keinem anderen zu. Bei Kant ist es der berühmte kategorische Imperativ.

Hier müssen wir zunächst einhalten und auf Ihre Schlussfolgerung zurückkommen. Sie meinen, es sei eine Sünde, wenn man Gott nicht von ganzem Herzen liebt. Und da man nur in Freiheit lieben kann, kann man Gott gar nicht lieben, weil er uns Sünder ja dazu zwingt. Und so bleiben wir immer Sünder und fahren zur Hölle. - Das ist eigentlich kein Paradox, sondern schwärzester Pessimismus, der mit Religion nichts zu tun hat. Es mag ja sein, dass in unseren abrahamitischen Religionen Dunkelmänner gelegentlich das Sagen hatten und mit Höllendrohungen ihre Macht über die Gläubigen ausübten. Man braucht auch manchmal sehr lange, um solche "Erziehungschäden" zu überwinden. Dennoch lässt sich aus den Schriften des Judentums, des Christentums und des Islams kein so bedrohliches Gottesbild ableiten. Im Gegenteil: Das Gemeinsame der abrahamitischen Religionen ist dieser fürsorgliche, liebende und barmherzige Gott, der seine Schöpfung bedingungslos liebt und sie folglich auch nicht für die Hölle geschaffen hat. Vielleicht müssen Sie gar kein Paradox auflösen, wenn Sie den Ballast einer solchen Drohbotschaft abwerfen und sich die Frohbotschaft Jesu neu erarbeiten.

Die Gottesliebe, von der Jesus in dem Zitat spricht, ist kein akrobatischer verkopfter Akt "nur aus/in Freiheit" und Wille, den kein normaler Sterblicher erfüllen kann. Jesus spricht ja an anderer Stelle zärtlich von seinem "lieben Vater" (Abba) und meint damit ein emotionales (Liebes-)Verhältnis das beidseitig ist. Eine solche bedingungslose und verlässliche Liebe von Vätern und Müttern meint Jesus mit dieser Anrede. Er meint sicher nicht das schlechte Beispiel, das wir Menschen ja auch kennen, wenn wir auf die Ungeschicktheiten und "Fehler" unserer Kinder mit Liebesentzug reagieren - und damit eben nicht so lieben, wie Gott das mit seiner Schöpfung tut. - Die Gottesliebe, um die es Jesus mit Bezug auf das Sch'ma Israel geht, "von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüt", ist zunächst das Gefühl der Dankbarkeit und Anerkennung dem Schöpfer gegenüber, die Freude über unsere Existenz und über seine bedingungslose Liebe, die vor allem als Geschenk zuerst da war. Dieses Gefühl bedarf keiner großen Worte und Höhenflüge und muß auch nicht "nur aus/in Freiheit und nicht aus/durch Zwang entstehen". - Über den Zusammenhang von Freiheit und Zwang ist schon viel geschrieben worden. Jedenfalls weiß niemand völlig über seine Motive zum Handeln bescheid. Wir Menschen täuschen uns oft über uns und bleiben uns selbst immer auch Rätsel. Und wir wissen aus der Psychologie, dass ein Mensch, der noch nie die Urerfahrung des Geliebtwerdens gemacht hat, auch nicht lieben kann. Kann er dann durch Nichtlieben sündigen? Und wissen wir immer so genau, dass das, was wir als Liebe empfinden auch wirklich Liebe ist? Gott hat uns ja so, wie wir Menschen sind, mit unserer Sexualität und Triebhaftigkeit geschaffen. Wir sind zwar anders als das Tier vom Instinkt entbunden und daher auf Erziehung angewiesen. Genau das macht aber die Schönheit und Größe unserer menschlichen Sexualität aus, dass wir nicht ausschließlich vom Trieb gesteuert sind. Vielleicht haben Sie das mit "Freiheit" gemeint. Aber dennoch ist der Freiheitsgrad auch manchmal eingeschränkt - ohne dass damit der Bereich des Körperlichen abgewertet wird. - Liebe kann sich auf allen Ebenen unserer Existenz vollziehen und alle Höhen erreichen, vom stillen Betrachten und Zuhören bis zur Ekstase. Sie ist immer ganzheitlich und beschränkt sich nicht auf den "Kopf" oder den Willen. - Vielleicht sollten Sie vor weiterem Grübeln einfach mehr über die Liebe lesen und dabei, wenn Sie zunächst dicht an der Botschaft Jesu bleiben wollen, immer wieder auf die im obigen Zitat gezeigte Einheit der Liebe zurückkommen: Die Liebe zu Gott, die ausgewogene Liebe zu sich selbst und zum Nächsten (vgl. Mk 12,28-34, Lk 10,27, Mt 22, 39, Röm 13,8) und schließlich die Feindesliebe (Mt 5,43-45). Angesprochen wird im Neuen Testament nicht zuletzt das Hohelied der Liebe bei Paulus (1 Kor 12,31b-13, 13), das einen Tugendkatalog der Liebe enthält:

"4 Die Liebe ist langmütig, die Liebe ist gütig. Sie ereifert sich nicht, sie prahlt nicht, sie bläht sich nicht auf. 5 Sie handelt nicht ungehörig, sucht nicht ihren Vorteil, lässt sich nicht zum Zorn reizen, trägt das Böse nicht nach. 6 Sie freut sich nicht über das Unrecht, sondern freut sich an der Wahrheit. 7 Sie erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, hält allem stand. (...)13 Für jetzt bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; doch am größten unter ihnen ist die Liebe."

Über den anderen wichtigen Punkt des Gesprächs mit dem Toralehrer, der auch zum Kontext dieser Stelle gehört, ja sogar in vielen Bibelübersetzungen die Überschrift des ganzen Abschnitts abgibt,.müssen wir heute nicht diskutieren: Es ging Jesus auch darum zu zeigen, dass er unter dem "Nächsten" nicht nur die bei Levitikus 19,18 angesprochenen "Kindern des Volkes Israel" versteht.

Wir wünschen Ihnen schöne Stunden des Nachdenkens und vor allem der Dankbarkeit.

Ihr
Team von der Kirch am Eck






 


 
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