Fragen und Antworten

 

 

 

 

Am 1. April 2007 schrieb uns Herr Z.:


Frage: Christi Opfertod und Erlösung

Hallo, guten Abend,

können Sie mir meine Gedanken zu folgender Frage einmal ordnen helfen oder mir geeignete Literatur nennen?

Ich bin als Christ damit gross geworden und habe das auch nie hinterfragt, dass Christus sich für uns geopfert hat und den Kreuzestod erlitten hat, um uns zu erlösen.

Nach dem ganz schrecklichen und plötzlichen Tod unserer erwachsenen Tochter sieht die Welt für mich ganz anders aus und ich frage mich unter anderem: Wieso braucht Gott ein Opfer in der Form, dass sein Sohn am Kreuz sterben muss und erst dadurch wieder mit den Menschen versöhnt wird??
Der Gedanke, durch Opfergaben ein höheres Wesen positiv zu beeinflussen, mag ja in Bibelzeiten noch allgemein üblich gewesen sein, aber doch heute nicht mehr. In meinen Augen ist Jesus durch einen Justizskandal verurteilt und ermordet worden. Er hatte die besten menschlichen Absichten und ist damit in dieser Welt gescheitert. Durch seinen Tod und Auferstehung - wie auch immer - hat er ein Signal gegeben, dass mit dem Tod nicht alles zuende ist.

Wenn ich an den Beerdigungsgottesdienst unserer Tochter denke, in dem permanent von Sünde und Vergebung die Rede war, sehe ich wieder unsere Babsi vor mir, die das Leben noch vor sich hatte und dies auch in christlichem Sinne gestalten wollte. Sie wäre bestimmt nicht damit einverstanden gewesen, dass ein anderer für sie einen schlimmen Tod erleiden musste, damit der Herrgott gnädig gestimmt wurde und sie zu sich aufnehmen konnte.

Eine Bitte noch, wenn Sie mir antworten sollten: Bitte keine "blumigen" Umschreibungen, Aphorismen und Vergleichsversuche, sondern eine konkrete Aussage für heutige Menschen.

Dank im voraus für Ihre Mühe.


Unsere Antwort:

Sehr geehrter Herr Z,

Ihre Mail vom Palmsonntag hat uns betroffen gemacht. Der Tod Ihrer Tochter und die beschriebenen Umstände wecken nicht nur Mitgefühl und Teilnahme an Ihrer Trauer, sondern auch Verständnis für Ihre Sinnfrage. Dabei wird aus Ihren Zeilen ein hohes Maß an konstruktiver Gläubigkeit deutlich. Man kann ja bei solchen Ereignissen auch den Glauben ganz verlieren.

Das ermutigt uns für einen Versuch, diese nicht leichte Frage zu beantworten. Ob wir dabei Ihren Wunsch erfüllen können in der gebotenen Kürze, eine "konkrete Aussage für heutige Menschen" zu machen, können wir nicht garantieren, weil es zu vielerlei "heutige" Menschen gibt. Antworten sind meist nur dann gut, wenn sie mit Blick auf einen konkreten Menschen (mit seinem Vorwissen und seiner Vorgeschichte) gegeben werden. Dazu haben wir außer Ihrem Brief recht wenig. Der Gefahr einem wenig bekannten Adressaten mit Allgemeinplätzen und Leerformeln zu antworten, scheint ja schon Ihr Begräbnisprediger erlegen zu sein. Ihr Wunsch kann also ohne Ihre Mitarbeit gar nicht erfüllt werden. Sie müssen also entweder wieder auf Nichtverstandenes oder Nichtakzeptables reagieren oder auf eine schnelle Antwort verzichten und geduldig und ggf. wiederholt lesen oder die empfohlenen Texte heranziehen. Dass Sie aber nur eine Antwort bekommen können, die außer der notwendigen theologischen Fundierung einen subjektiven Charakter behält, liegt in der Natur von Glaubensfragen. - Nun zu Ihren Fragen:

Zunächst kann man Ihnen nur zustimmen: Die Vorstellung von einem Gott, der durch Opfer besänftigt werden muß, ist archaisch und hat für uns moderne Menschen den Anschein des Kindlichen. Sie passt nicht mehr in unsere Lebenswelt. Sie passte übrigens auch schon nicht mehr in das Gottesbild von Jesus von Nazaret. Er verkündete einen väterlich und bedingungslos liebenden Gott. Ganz in der Tradition der Propheten (z.B. Jer 6,20; 7,21 u.a.) stehend verkündigte Jesus einen Gott, der keine Opfer will und nicht durch Opfer gnädig gestimmt werden muß.

Mit dem Hinweis auf die Propheten wird deutlich, dass sich bereits im Judentum - und das ist ja die Grundlage des Christentums - in dieser Frage ein Wandel abzeichnete. Die Opferpraxis der frühen Zeiten (und die aller alten Religionen) war mit dem Gottesbild und insbesondere mit der Frage nach der Erlösung und dem Leben nach dem Tod verbunden. Die Menschheit stellte sich immer schon die Fragen: Wo kommt das Böse her und wie kann ich von ihm erlöst werden? Wie kann das Böse gesühnt oder vergolten werden? Was passiert nach dem Tod? Was muß ich tun, damit ich nach dem Tod weiterleben kann? Wie erlange ich Heil und Erlösung?

Für den gläubigen Juden war Erlösung und Heil gebunden an die Verheißung Jahwes an sein Bundesvolk: Gott hat sein Volk aus der Knechtschaft herausgeführt und wird das immer wieder tun. Seine Heilstaten sind garantiert, wenn sich sein Volk an seine Gebote hält. Das sind in einer Kurzformel die Gottes- und Nächstenliebe. Und Gott wird die Gerechten zum ewigen Leben auferwecken. Diese Heilsgewissheit und ihre Festlegung im mosaischen Gesetz förderte andererseits eine Tendenz zum Gesetzesformalismus und zur fundamentalistischen Buchstabenerfüllung und dem Denken, Gott würde sich mit Opfern "kaufen" lassen. Gegen diesen Geist wetterten die Propheten und plädierten für einen neuen Geist und ein "neues Herz". Diese neue Botschaft und diese neue (Gesinnungs-)Ethik übernahm Jesus; die junge Kirche verkündete sie in seinem Gefolge: Das Gesetz ist für den Mensch da und nicht der Mensch für das Gesetz. Gott, der bedingungslos liebende Vater, gibt das Heil allen Menschen, die das in ihrer Freiheit annehmen wollen - allen Völkern und Rassen, Armen und Reichen, Frauen und Sklaven. Das ist der "neue Bund" mit der Menschheit. (Lesen Sie dazu vielleicht in unserer Homepage die Predigt zum 5. Fastensonntag, wo es um diese neue Ethik geht: http://www.kirchameck.de/Pred138GFBS.htm .

Mit dieser Feststellung haben wir aber noch keine Antwort auf die Frage nach der Erlösung. Sie stellen sie in Ihrer Mail ja selber. Das Böse bleibt uns nach Auschwitz und den vielen Genoziden der jüngsten Vergangenheit nach wie vor unbegreiflich und ist nur dem Glauben zugänglich. - Dazu müssen wir uns vorher in die Freundinnen und Freunde, Anhängerinnen und Anhänger Jesu nach diesem "Justizskandal" hineindenken. Für diese Freunde Jesu - allesamt gläubige und fromme Juden - brach eine Welt zusammen. Es war nicht nur der entehrende und grausame Tod des geliebten und bewunderten Sohnes, Verwandten, Freundes und Lehrers, sondern nicht zuletzt das Ende ihres "Messias". Für den hielten sie nämlich Jesus und es spielt dabei keine Rolle, ob sie ihn vordergründig als Befreier von den Römern sahen oder als den endzeitlichen Vollender der jüdischen Heilsgeschichte. Für die Juden gehört der Glaube an den Messias zum versprochenen endzeitlichen Heil und ewigen Leben. Mit seinem Gericht endet die Heilsgeschichte. - Mit dem dramatischen und für seine Anhänger zunächst sinnlosen Tod Jesu brach für sie eine Glaubenkrise herein. Können wir uns auf unseren Gott nicht mehr verlassen? Gibt es Erlösung? Und wenn Jesus Messias war und nun tot ist, kommt er vielleicht dann bald doch, um die Menschheit zu richten?

Die Schriften des Neuen Testaments sind bekanntlich keine historischen Berichte, sondern eine später in verschiedenen Zeitabschnitten niedergeschriebene Glaubensverkündigung an unterschiedliche Adressatengruppen mit ihren spezifischen Fragen (Judenchristen, griechische Judenchristen mit mehr hellenistischer Kultur und "Heidenchristen" mit ganz anderem Kulturhintergrund). Das bedeutet nach der Meinung der theologischen Forschung, dass wir uns diese Texte unter dem Aspekt des immer klarer werdenden Glaubensverständnisses dieser jungen Kirche ansehen müssen. Während zunächst der Mensch Jesus und seine Heilungstaten an seinen Mitmenschen im Vordergrund standen, wird immer mehr der theologische Aspekt "Jesus als Gott" deutlich. Man spricht von einer "vorösterlichen" und "nachösterlichen" Verkündigung mit ihren entsprechenden Quellentexten. Immer mehr gingen den Anhängern Jesu die Augen auf und sie verstanden Ereignisse und Texte im Alten Testament auf Jesus zu beziehen, immer mehr lösten sich ihre Fragen zur Erlösung und verdichteten sich zu theologischen Formeln und Titeln. Sie verstanden immer mehr den Sinn des Todes am Kreuz und die Auferstehung als untrennbare Glaubenstatsachen im Hinblick auf das versprochene Heil und die Erlösung.

Immer mehr verstanden sie die beiden "Naturen" Jesu: Für den Mensch Jesus stand sein Wirken, seine Botschaft, seine Gleichheit und sein Eintreten für die Armen und Schwachen, ja sein eigenes Leiden und am Ende das Kreuz. - Für Jesus als Gott und damit als Garantie für Heil und Erlösung stand als Faktum seine Auferstehung und seine Präsenz unter ihnen. Ostern und Pfingsten müssen für die junge Kirche überwältigende Ereignisse religiöser Erfahrung gewesen sein: Jesus lebt! Heil und Erlösung sind uns durch seinen Tod und seine Auferstehung garantiert. Jesus läßt uns nicht allein und tröstet uns mit seinem Geist.

Dabei wandelte sich der ursprüngliche Glaube an sein baldiges Wiederkommen als Messias und Richter (Naherwartung) in eine konkretere Vorstellung vom "Reich Gottes", das schon begonnen hat und seine Erfüllung in ungewisser Zukunft haben wird. - Dass dabei das Verständnis von der Erlösung manchmal den Tod Jesu mehr als "Opfertod" sieht, liegt in der Nähe der jungen Kirche zum Judentum und seiner Opferpraxis. Paulus, selber jüdischer Theologe, gab dem Kreuzesereignis als erster einen Sinn: Mit Adam kam die Sünde in die Welt, mit Jesu Opfer wurde sie gesühnt. Er ist das unschuldige Opferlamm.

Verstärkt wurde dieses Verständnis dann einige Jahrhunderte später durch Augustinus, der den Aspekt der Erbsünde und seine Konzeption der radikalen Verderbtheit der Menschheit hinzubrachte ("massa damnata", Notwendigkeit der Kindertaufe) . Das macht uns "heutigen" Menschen das Verständnis nicht einfacher. - Dennoch gibt es aber modernere Ansätze, die die Schwerpunktverlagerung vom Menschen Jesus auf den Gott Jesus in den Konzilien des 4. und 5. Jh. korrekturbedürftig sehen. Mit der Hereinnahme des Menschen Jesus in die Gottheit rückt die "Leidensfähigkeit" Gottes mehr in das Blickfeld. Der Tod Jesu wird weniger als Versöhnungsopfer, sondern als Akt der Solidarität mit den Menschen als Opfer betrachtet (z.B. in neueren Varianten der "Befreiungstheologie"). Der Auferstandene wird dabei als der Gekreuzigte gesehen:

"Natürlich "wiederholen" die Kreuze der Geschichte nicht das Kreuz Jesu, aber auf analoge Weise schaffen sie eine Öffnung hin auf "Zeichen der Auferstehung" und auf das Kommen des Reiches Gottes. Heute werden viele Millionen von Menschen gekreuzigt, ermordet, gefoltert aufgrund der "strukturellen Ungerechtigkeit". Dies ist der Ort der Universalisierung der Hoffnung, und die Auferstehung wird zum Symbol der Hoffnung: Die Bösen haben Jesus getötet, und Gott hat ihn auferweckt. Der Skandal der Ungerechtigkeit, der zum Tod führt, ist die christliche Form, die es erlaubt, sich mit dem Skandal des eigenen Todes zu konfrontieren. Die Hoffnung auf ein Jenseits des Todes ist auch eine Hoffnung gegen den Tod der Opfer. Wer die Opfer liebt und bereit ist, sich für sie im selben Schicksal hinzugeben, der kann eine Hoffnung für sich selbst in der Auferstehung Jesu haben. Dies ist der Beitrag, den die Theologie der Befreiung der transzendentalen Hoffnung jedes Menschen auf die Auferstehung hinzufügt."
(Bernard Sesboüé SJ: Jesus Christus aus der Sicht der Opfer. Zur Christologie von Jon Sobrino. In: Stimmen der Zeit 4/2007, S. 243)

Eine weitere Hilfe für einen moderneren Zugang zum Verständnis des Karfreitags finden Sie wiederum auf unserer Homepage in der Predigt zum Palmsonntag von Heinrich Braunschweiger: http://www.kirchameck.de/Pred139Braunsch.htm .

Dieser Wandel in der Diskussion zeigt, dass unser christlicher Glaube lebendig bleibt und immer neue zeitgemäße Interpretationen suchen muß. Ihre Tochter könnte da bestimmt einverstanden sein.

Wir hoffen, dass wir Ihnen Anregungen zum Weiterdenken geben konnten und wünschen Ihnen besinnliche Ostertage und die Gnade des Auferstandenen mit seiner Hoffnung



 


 
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