Fragen und Antworten

 

 

 

 

Am 19. Februar 2005 schrieb uns Herr Y.:

Date: Sat, 19 Feb 2005 22:35:55 +0100 (MET)

Subject: Schicksal

Sehr geehrte Damen und Herren,
hat eigentlich nach christlichem Glauben jeder Mensch ein von Gott bestimmtes Schicksal? Kann man sagen, dass alles was geschieht Gottes Wille ist?
Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir helfen könnten.
Mit freundlichen Grüßen
X.Y.


Unsere Antwort

Lieber Herr Y.,
Sie stellen wichtige Fragen und berühren damit uralte philosophische Probleme der Menschheit. Vielleicht sollten wir zum besseren Verständnis vorher die Begriffe klären:

Im Altertum hatte man die Vorstellung, dass alles was hier auf Erden (und sogar bei den Göttern) geschieht, von höheren Mächten gelenkt wird. Daher wurden Orakel befragt, Horoskope gelesen und religiöse Zeremonien abgehalten - zum Erkunden und Erkennen solcher vorherbestimmender Schicksalssprüche. Die alte griechische Tragödie hat dieses Thema immer wieder aufgegriffen. - Das deutsche Wort "Schicksal" ist zwar noch sehr jung, aber es drückt den Sachverhalt auch aus: Schicksal ist ein mir zugedachtes und von einer höheren Macht "geschicktes" Geschehen, das mehr oder weniger ohne mein Zutun eintritt, mir vorherbestimmt ist (Prädestination, Fatalismus) und letztlich meinen Willen und meine Entscheidungen überflüssig macht.

Solche Meinungen hat das Christentum von Anfang an abgelehnt und dagegen die Willensfreiheit des Menschen betont. Der Mensch ist für sein Handeln selbst verantwortlich: sonst könnte man auch nicht über Schuld, Sünde und Strafe reden. Gott lässt den (nach seinem Bilde geschaffenen) Menschen frei und bestimmt ihm kein Schicksal und kein Fatum vorher. Das hat vor allem Augustinus sehr betont. In der christlichen Diskussion betonte man anstelle des Schicksals den Begriff der "göttlichen Vorsehung". Gemeint ist die liebende Fürsorge und Gnadengabe Gottes für seine Schöpfung, die jedem das zuteilt, was er braucht, ihm aber die Freiheit der Annahme lässt.

Ich breche hier ab, weil Sie vermutlich nicht nach den einschlägigen philosophischen und theologischen Diskussionen (Immanenz, Transzendenz; Spinoza, Kant, Hegel, usw.) gefragt haben. Sie stellen sich eher die quälende Frage, ob alles was geschieht, Gottes Wille ist, und vielleicht ob das ein guter Gott sein kann, der z.B. den Tod von Millionen schuldloser Menschen zulässt oder sogar vorherbestimmt.

Spätestens seit dem Zeitalter der Aufklärung betont das Christentum, dass der Glaube unserem Verstand und unserer Vernunft standhalten muss. Wir müssen unsere bescheidenen und manchmal kindlichen Vorstellungen von Gott ins Feuer der Vernunft halten. Glaube muss auch den Argumenten der Wissenschaft standhalten können. - Unser menschliches Denkvermögen steigt aber schon aus, wenn wir uns den Makrokosmos vorstellen wollen, und es gibt "schwarze Löcher" nicht nur dort. Wenn also hier schon gelegentlich der Glaube das Wissen ersetzen muss, ist das bei der Vorstellung Gottes noch zwingender. Wir können uns Gott überhaupt nicht vorstellen. Wir übertragen unsere Erkenntnisse und Vorstellungen vom Menschen (z.B. Person, freier Wille, Wissen usw.) auf Gott, machen uns menschliche Bilder von ihm, um uns die unverständliche Welt und unser Leben zu erklären. Die Fragen nach Schicksal und Gottes Wille sind ebenso aus dieser Begrenztheit unseres menschlichen Erkennens bestimmt. - Manchmal verstieg sich die Christenheit leider auch in verhängnisvolle Spekulationen und philosophische Spitzfindigkeiten und entwickelte einen Gottesbegriff, der nachfolgenden Generationen nicht immer leichter verständlich war. Die Folgen waren Streit und Spaltungen und vor allem ein manchmal größerer Abstand zu dem, was uns Jesus darüber hinterlassen hatte. Vielleicht sollten wir im 21. Jh. wieder mehr zu seiner schlichten Formel von Gott zurückkehren. Sie könnte uns auch die Frage nach Schicksal und Gottes Willen beantworten. Jesus lehrte uns beten und Gott als unseren liebenden Vater ansprechen. Eine solche Haltung könnte uns die Angst vor dem "Schicksal" nehmen. Und wenn Jesus sagt "dein Wille geschehe", wird damit nicht nur Wunsch, sondern auch Bekenntnis ausgesprochen, dass hier auf Erden nicht alles nach dem Willen Gottes zugeht. Von Jesu können wir Gelassenheit und Ergebung in den Willen Gottes lernen und gleichzeitig selbstbewusstes und freies Handeln und Entscheiden.

Ihre Fragen nach dem Schicksal und dem Willen Gottes lassen sich nicht akademisch beantworten. Sie lassen sich überzeugend nur mit dem "Herz" lösen, wo wir in der Tiefe Gott begegnen können. Gott ist nicht nur transzendent und "regiert" die Welt von außen. Wir finden ihn auch immanent, d.h. in seiner Schöpfung, in uns und im anderen. Und manchmal erkennen wir nach Umwegen und Fehltritten, Unglück, Krankheiten und Katastrophen, dass er uns gnädig und weise geführt hat. Man braucht meist sehr lange, um den roten Faden zu sehen, der sich durch das Labyrinth unseres Lebens zieht. Er ist nie geradlinig vorherbestimmt, sondern entfaltet sich erst dem im Glauben Handelnden und Gott Liebenden sichtbar.

In der Hoffnung, dass wir Ihnen weiterhelfen konnten und mit den besten Wünschen für Ihre Suche nach Gott


 


 
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